Zunehmende Ausländerfeindlichkeit?

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fax
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Re: Zunehmende Ausländerfeindlichkeit?

Beitrag von fax »

vox borealis hat geschrieben:Ja, da besteht sehr wohl ein Zusammenhang. Ist auch andern aufgefallen, dass vor allem Warenhäuser der K-Kette an den Kassen nur einheimische blonde Mädchen und Frauen beschäftigen, sozusagen als "kotimainen laatutekijä"? Bei Lidl und der S-Gruppe ist das Personal doch wesentlich bunter. In einer Kantine westlich von Tikkurila habe ich über mehrere Jahre gerade einen farbigen Kunden gesehen. Eine rein finnische Kundschaft geht dort ein und aus, die typischerweise im nahen Grosshandel, in Autowerkstätten, Buchdruckereien, Logistikfirmen usw. arbeitet. Wenn du dann abends zum Itäkeskus gehst, dann komme ich auf einmal in eine total andere Welt. Da sind sie auf einmal, die vielen Immigranten, schätzungsweise über ein Drittel aller Besucher.
In Itäkeskus und Leppävaara sitzen die Ausländer ja dann auch hinter der Kasse. Wo keine Ausländer wohnen, arbeiten die natürlich auch nicht im Supermarkt. Aber wo du es sagst, im Citymarket in Leppävaara sitzen eigentlich nur junge einheimische Leute während im direkt gegenüberliegenden Prisma Alter und Nationalitäten einen wesentlich gesünderen Mix haben. Das scheint ja dann aber nicht nur nach Nationalität zu gehen sondern auch nach Alter.
vox borealis

Re: Zunehmende Ausländerfeindlichkeit?

Beitrag von vox borealis »

fax hat geschrieben:In Itäkeskus und Leppävaara sitzen die Ausländer ja dann auch hinter der Kasse. Wo keine Ausländer wohnen, arbeiten die natürlich auch nicht im Supermarkt.
Ich wohne in Helsinki-Mellunmäki, ein Vorort mit einem der höchsten Ausländeranteile Finnlands überhaupt. In Mellunmäki gibt es einen K-Supermarket (neben der Metrostation). Nicht eine einzige Immigrantin an der Kasse. Meiner Ansicht nach würden solche von den Kunden durchaus akzeptiert. Wenn die Einheimischen nämlich die Ausländer vermehrt an der Arbeit sehen würden, dann würde auch deren Akzeptanz in der Bevölkerung allgemein steigen.
fax hat geschrieben:Aber wo du es sagst, im Citymarket in Leppävaara sitzen eigentlich nur junge einheimische Leute während im direkt gegenüberliegenden Prisma Alter und Nationalitäten einen wesentlich gesünderen Mix haben. Das scheint ja dann aber nicht nur nach Nationalität zu gehen sondern auch nach Alter.
Eben, doppelte Ausgrenzung. Einheimisch und dazu noch jung. - Wenn du bei Prisma einen gesünderen Mix feststellst, dann meine ich, ist der andere eben krank.
PS. Man kann Lidl alles mögliche nachsagen, aber seine Anstellungspolitik hier in Finnland ist - was die Berücksichtigung von Ausländern und Ausländerinnen betrifft- beispielhaft.
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Tenhola
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Re: Zunehmende Ausländerfeindlichkeit?

Beitrag von Tenhola »

vox borealis hat geschrieben:Man kann Lidl alles mögliche nachsagen, aber seine Anstellungspolitik hier in Finnland ist - was die Berücksichtigung von Ausländern und Ausländerinnen betrifft- beispielhaft.
Du glaubst doch wohl nicht, dass Lidl sein Personal (ob einheimisch oder ausländisch) nach irgend welchen Gedanken von Humanität oder sonstigen sozialen Aspekten einstellt. Ausländer sind auf jeden Fall billiger.
vox borealis

Re: Zunehmende Ausländerfeindlichkeit?

Beitrag von vox borealis »

Tenhola hat geschrieben:
vox borealis hat geschrieben:Man kann Lidl alles mögliche nachsagen, aber seine Anstellungspolitik hier in Finnland ist - was die Berücksichtigung von Ausländern und Ausländerinnen betrifft- beispielhaft.
Du glaubst doch wohl nicht, dass Lidl sein Personal (ob einheimisch oder ausländisch) nach irgend welchen Gedanken von Humanität oder sonstigen sozialen Aspekten einstellt.
Lidl stellt sein Personal ein, weil es solches für seine Geschäftstätigkeit braucht. Aber mit mir sehen viele andere auch, dass Lidl dabei keinen Unterschied macht zwischen Einheimischen und Immigranten, anders als beispielsweise die K-Kette, Stockmann, Aleksi13 und weitere. Wenn du in der Schweiz in die Migros, Coop oder Denner gehst, dann siehst du mehrheitlich Zugewanderte an der Kasse sitzen. Hier in Finnland scheint es wesentlich weniger gut zu gehen.
Tenhola hat geschrieben:Ausländer sind auf jeden Fall billiger.
Ich weiss es nicht, nehme aber an, dass sie nach TES bezahlt werden. Wie du sicher weisst, sind alle GAVs in Finnland allgemeinverbindlich.
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Finnrotti
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Re: Zunehmende Ausländerfeindlichkeit?

Beitrag von Finnrotti »

vox borealis hat geschrieben:
Finnrotti hat geschrieben:Ich musste mir letztens von einem gewollt arbeitslosen, finnschen Sozialschmarotzer anhören, dass die Ausländer daran Schlud wären, dass das Land so verschuldet ist, dem hab ich erstmal den Kopf gewaschen . Leider ist das nicht der einzige Fall von dieser Sorte, die ich hier kennenlernen durfte.

Fast jeder Kunde von uns denkt erstmal wir sind Russen und wenn sie dann hören, dass wir Deutsche sind, sind sie natürlich total froh, mich nervt sowas. Dergleichen mehr, wenn ich bedenke, dass unser estischer Freund für dieselbe Arbeit, die Finnen in seiner Firma machen viel schlechter bezahlt wird. oak
Muss aber dazu sagen, das ist das normale Volk, an der Uni hab ich sowas nicht erlebt.
Der Bomber von Stockholm war einer von der Uni. Ergo, nur nicht vom "normalen" Volk abheben, ok?
Ups, so sollte das natürlich nicht rüberkommen, mit "normal" war eher der Urfinne mit seinem verquerten Weltbild gemeint, solche gibt´s natürlich auch an der Uni, die sagen´s aber nicht so deutlich, dass sie Russen nicht ausstehen können und Hitler ja ganz toll war (ja, das hat uns schon ein Finne gesagt). :roll:
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fax
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Re: Zunehmende Ausländerfeindlichkeit?

Beitrag von fax »

Finnrotti hat geschrieben:dass sie Russen nicht ausstehen können und Hitler ja ganz toll war (ja, das hat uns schon ein Finne gesagt). :roll:
Solche laufen einem im Ausland aber überall über den Weg, das ist nicht Finnland spezifisch. Es gibt scheint's eine saudämliche Minderheit an Menschen weltweit, die glaubt, dass man Hitler toll finden muss, wenn man Deutscher ist.
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roelli
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Re: Zunehmende Ausländerfeindlichkeit?

Beitrag von roelli »

Finnrotti hat geschrieben:dass sie Russen nicht ausstehen können und Hitler ja ganz toll war (ja, das hat uns schon ein Finne gesagt). :roll:
Was mich wundert ist das der Fokus auf dem Russen liegt, wobei es doch in D eher auf der Kommunistischen Ideologie liegt denen die Russen ausgesetzt waren. Einige Finnen haben ja durchaus in ihren Überlegungen, die 220 000 Wehrmachtssoldaten im Kopf ohne die, es wahrscheinlich in Finnland wie in Osteuropa aussehen würde?
fax hat geschrieben: Solche laufen einem im Ausland aber überall über den Weg, das ist nicht Finnland spezifisch. Es gibt scheint's eine saudämliche Minderheit an Menschen weltweit, die glaubt, dass man Hitler toll finden muss, wenn man Deutscher ist.
.., weil er eben auch gegen eine Kommunistische Diktatur angetreten ist.

Sechs osteuropäische EU-Mitglieder für EU-weites Verbot der Leugnung kommunistischer Verbrechen

“Jeder kennt die Verbrechen des Nationalsozialismus, aber nur ein Teil Europas ist sich der Verbrechen des Kommunismus bewusst”, so Ažubalis.
http://www.baltische-rundschau.eu/2010/ ... ndschau%29
vox borealis

Re: Zunehmende Ausländerfeindlichkeit?

Beitrag von vox borealis »

roelli hat geschrieben:Was mich wundert ist das der Fokus auf dem Russen liegt, wobei es doch in D eher auf der Kommunistischen Ideologie liegt denen die Russen ausgesetzt waren.
Das können wir als Mitteleuropäer halt nicht so nachvollziehen wie die Finnen, die gegen Russland einen schmerzhaften Loslösungsprozess durchmachen mussten, der erst hundert Jahre zurückliegt. Übrigens, nach heutiger Definition und unter Anspielung auf kürzliche Ereignisse war Eugen Schauman ja auch ein Terrorist ...
roelli hat geschrieben:Einige Finnen haben ja durchaus in ihren Überlegungen, die 220 000 Wehrmachtssoldaten im Kopf ohne die, es wahrscheinlich in Finnland wie in Osteuropa aussehen würde?
Darin sind sie hier Meister im Verschweigen. Auch darin, dass sie im Fortsetzungskrieg in Ostkarelien ethnische Säuberungen gemacht haben, Konzentrationslager unterhalten haben, in denen über 3000 Menschen (um im Ton nicht weiter "ausfällig" zu werden, vermeide ich weitere, belegte!, Einzelheiten) an Hunger gestorben sind. Es stimmt, dass die Sache 1947 in Paris besiegelt wurde. Aber von der moralischen Verpflichtung den Überlebenden und auch Toten gegenüber gibt es nur eiserne Funkstille. Andere europäische Länder nämlich mussten auch nach 1947 nochmals über die Bücher, eben wegen der moralischen Dimension. Nur der Strahlemann Finnland, Liebling der internationalen Benchmarking-Riege, darf sich davon ausnehmen.
poro
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Re: Zunehmende Ausländerfeindlichkeit?

Beitrag von poro »

Ist jetzt mal wieder am Thema vorbei (bin anscheinend sehr gut darin :mrgreen: ), aber ich wuerde's gerne loswerden :wink:
Gerade das aber empfiehlt man in Finnland den Immigranten als verlockende Alternative zur Lohnarbeit. Völlig unkorrekt!
Es ist nur halb unkorrekt. Was sich lohnt (wenn man keinen festen Arbeitsplatz bekommt, oder sich aus anderen Gruenden selbständig machen will und das Risiko am Anfang klein halten will) ist, zunächst mit mind. 7 weiteren Leuten eine osuuskunta zu gruenden - oder einer beizutreten. Da kann man wie ein Unternehmer arbeiten (eigene Projekte, Kundenbeschaffung, kann Rechnungen schreiben, ...), hat jedoch den Arbeitnehmerstatus (bezahlt sich Lohn ueber Lohnsteuerkarte). Man kann sich also ein Kundennetzwerk aufbauen und eigene Projekte in die Wege leiten, ohne die Risiken eines "echten" Unternehmers zu haben. Hat man keine Projekte, so ist man per Definition arbeitslos und bekommt Arbeitslosengeld/Sozialhilfe. Hat man nur wenige Projekte (reicht nicht zum Leben), so ist man per Definition unterbeschäftigt und bekommt teilweise Arbeitslosgengeld/Sozialhilfe.
So eine osuuskunta kann ein guter Einstieg sein, wenn man später ein eigenes Unternehmen gruenden will .. oder auch eine dauerhafte Lösung sein. Je nachdem, wie's läuft.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es sehr schwer ist, einen festen Arbeitsplatz zu bekommen. Als Unternehmer oder "Pseudounternehmer" hat man dagegen wesentlich leichter die Möglichkeit, an einzelne Aufträge heranzukommen. Erst kleine - und wenn dann das Vertrauen da ist, dann auch grosse.
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roelli
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Re: Zunehmende Ausländerfeindlichkeit?

Beitrag von roelli »

vox borealis hat geschrieben:
roelli hat geschrieben:Was mich wundert ist das der Fokus auf dem Russen liegt, wobei es doch in D eher auf der Kommunistischen Ideologie liegt denen die Russen ausgesetzt waren.
Das können wir als Mitteleuropäer halt nicht so nachvollziehen wie die Finnen, die gegen Russland einen schmerzhaften Loslösungsprozess durchmachen mussten, der erst hundert Jahre zurückliegt.
Das Problem betrift nicht nur Finnland es "hangelt" sich an der Westgrenze Russlands lang, wenn man so will. Nur will man von diesen Problem so in West-Europa nichts von wissen, Rapallo-Komplex würde ich sagen. Ich glaube nicht das der Verbotsvorschlag der 6 osteuropäischen Ländern so angenommen wird, eher setzt man von Seiten der Eu eine Propangandamaschinerie in Gang die die kommunistischen Greul verharmlost. Das sind 6 Länder, Finnland war bisher eher allein mit den Thema.
Das selbe Problem ergibt sich doch auch in D, man kann über die Nachkriegsgreul in D nur bis zu einem gewissen Grad berichten wenn es gegen die Russen geht noch ein bisschen mehr, aber Wehe es geht gegen die Westalliierten da ist Funkstille. Gegen über den Russen auch nur so lange, wie die Leiden der von den Westalliierten Legitimierten nicht geschmälert werden. Hier sei an die Diskussion um die Speziallager in Mitteldeutschland erinnert, da war man auch mit Nazivorwürfen konfrontiert wenn man das Thema lt. Meinung einiger übergebühr aufgebauscht hat.
roelli hat geschrieben:Einige Finnen haben ja durchaus in ihren Überlegungen, die 220 000 Wehrmachtssoldaten im Kopf ohne die, es wahrscheinlich in Finnland wie in Osteuropa aussehen würde?
Darin sind sie hier Meister im Verschweigen.
Sie tanzen im Prinzip auf mehreren Hochzeiten. Russland-Westeuropa. Das Problem liegt auch in "Westeuropa", weil dort keine offene Diskussion erwünscht ist. In deren Folge wahrscheinlich Deutschland seinen Platz teilen muss.

Ein anderes Beispiel wie ich finde ist der NATO-Beitritts Diskussion. Ziemlich 20 Jahre ?
Sie sind nicht in der Lage mit allen Konsequenzen mal Ja oder Nein zu sagen. Vicky Pollard- Syndrom! "Nein, aber Ja!"
Auch darin, dass sie im Fortsetzungskrieg in Ostkarelien ethnische Säuberungen gemacht haben,
Russen? Das wird auch militärische Gründe haben.
Konzentrationslager unterhalten haben, in denen über 3000 Menschen (um im Ton nicht weiter "ausfällig" zu werden, vermeide ich weitere, belegte!, Einzelheiten) an Hunger gestorben sind.


Da wird aber drüber berichtet, da gabs mal neulich eine Untersuchung, das interessante (was dem geschulten Auge auffällt!) war, das sie in der Untersuchung den deutschen Lagern in Finnland ein höhere Überlebenswahrscheinlichkeit zu ordneten. Das ist doch politisch total unkorrekt! Da hat doch irgendjemand nicht aufgepasst, sach ich mal! 8)
Es stimmt, dass die Sache 1947 in Paris besiegelt wurde. Aber von der moralischen Verpflichtung den Überlebenden und auch Toten gegenüber gibt es nur eiserne Funkstille. Andere europäische Länder nämlich mussten auch nach 1947 nochmals über die Bücher, eben wegen der moralischen Dimension.
moralischen Dimension in welcher Beziehung? Wenn man über alle Toten und Überlebenden reden könnte, das würden sie wohl mitmachen. Das Thema ist aber immer noch vermientes Gelände, deshalb wird doch z.b. der Mannerheim-Film auch nicht fertigt, das liegt doch nicht am Geld, eher an der geschichtlichen Darstellung im Drehbuch. http://fi.wikipedia.org/wiki/Mannerheim_(elokuva)


Die deutsche Nachkriegsgeschichtsschreibung wird immer mehr ein Fall für die Geschichtsschreibung.
http://www.michael-klonovsky.de/content/view/13/41/
Nur der Strahlemann Finnland, Liebling der internationalen Benchmarking-Riege, darf sich davon ausnehmen.
Wenn sich ein Staat, International auch mit Feministischen Heilslehren präsentiert, so ein Staat kann doch gar nicht im Benchmarking abrutschen, das ist doch auch Autobahn!

"Also mich hätte bei den Nazis und bei den Kommunisten vor allem der Konformitätsdruck abgestoßen", sagte er, bevor er sich bei Facebook einloggte.
http://www.michael-klonovsky.de/content/view/13/41/ Kann ich nur empfehlen die Seite!
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roelli
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Re: Zunehmende Ausländerfeindlichkeit?

Beitrag von roelli »

poro hat geschrieben:Ist jetzt mal wieder am Thema vorbei (bin anscheinend sehr gut darin :mrgreen: ), aber ich wuerde's gerne loswerden :wink:
Interessante Sache. Jetzt hätt ich allerdings noch ein paar Fragen. 8)

Wie wird den in der 7 Mitglieder(mit 3 geht wohl auch) Osuuskunta die Buchhaltung/Steuern/Haftung gehandthabt?
Gewinne und Dauerverluste verrechnet?
Kann man den da einfach Ein- und wieder Aussteigen?
vox borealis

Re: Zunehmende Ausländerfeindlichkeit?

Beitrag von vox borealis »

poro hat geschrieben:Es ist nur halb unkorrekt. Was sich lohnt (wenn man keinen festen Arbeitsplatz bekommt, oder sich aus anderen Gruenden selbständig machen will und das Risiko am Anfang klein halten will) ist, zunächst mit mind. 7 weiteren Leuten eine osuuskunta zu gruenden - oder einer beizutreten. Da kann man wie ein Unternehmer arbeiten (eigene Projekte, Kundenbeschaffung, kann Rechnungen schreiben, ...), hat jedoch den Arbeitnehmerstatus (bezahlt sich Lohn ueber Lohnsteuerkarte). Man kann sich also ein Kundennetzwerk aufbauen und eigene Projekte in die Wege leiten, ohne die Risiken eines "echten" Unternehmers zu haben. Hat man keine Projekte, so ist man per Definition arbeitslos und bekommt Arbeitslosengeld/Sozialhilfe. Hat man nur wenige Projekte (reicht nicht zum Leben), so ist man per Definition unterbeschäftigt und bekommt teilweise Arbeitslosgengeld/Sozialhilfe.
So eine osuuskunta kann ein guter Einstieg sein, wenn man später ein eigenes Unternehmen gruenden will .. oder auch eine dauerhafte Lösung sein. Je nachdem, wie's läuft.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es sehr schwer ist, einen festen Arbeitsplatz zu bekommen. Als Unternehmer oder "Pseudounternehmer" hat man dagegen wesentlich leichter die Möglichkeit, an einzelne Aufträge heranzukommen. Erst kleine - und wenn dann das Vertrauen da ist, dann auch grosse.
Ok, poro. Was ich mit "Völlig unkorrekt" sagen wollte ist dies: Indem man Immigranten nach nur kurzer Aufenthaltszeit in Finnland zur Selbständigkeitkeit animiert, steht meines Erachtens nicht das Wohlergehen des Zugewanderten im Vordergrund, sondern man möchte in erster Linie damit die Arbeitslosenstatistik verschönen. Und das ist unkorrekt. Für die Selbständigkeit nämlich braucht man Finnisch (draussen im Westen vielleicht Schwedisch) auf Verhandlungsbasisniveau. Ansonsten wirst du als ausländischer Selbständigerwerbender nämlich früher oder später über den Tisch gezogen. Und wenn das einem passiert (und es ist passiert zuhauf!), dann beginnt ein solcher Immigrant womöglich, gleichfalls zuhauf geschehen, bald einmal selbst krumme Sachen zu machen. Und nun frage ich dich, poro, ist das für einen oder eine Immigranten/Immigrantin eine gute Situation für seinen/ihren weiteren Lebensweg in diesem Land? Ich meine, dass die staatlich betriebene Abwerbung von Immigranten aus dem wesentlich besseren Sozialsystem für Arbeitnehmende einen unethischen Charakter hat.

Im weiteren wäre ich dir dankbar, wenn du hier deine Empfehlungen zum Unternehmer/Pseudounternehmer noch ergänzen könntest wie es um die Äufnung des Rentenkontos steht. Wir wollen ja schliesslich wohl alle einmal mit ca. 65 in die Rente gehen und auch dann noch von den einbezahlten Rentenbeiträgen profitieren. Die jüngeren unter euch kümmert das wenig, aber wenn ihr mal 50 seid, dann schleicht sich das langsam aber sicher in euer Gehirn rein.
poro
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Re: Zunehmende Ausländerfeindlichkeit?

Beitrag von poro »

Moi,

mein Einwurf war jetzt nicht als Kritik gemeint .. ich wollte nur eine Zusatz-/alternative Lösung aufzeigen zum "normalen" Angestelltenverhältnis und der "richtigen" Selbständigkeit. Irgendwie sind diese osuuskuntas als Unternehmensform nicht sonderlich bekannt.
Natuerlich macht es finanziell keinen Sinn, einen gut dotierten festen Job in z.B. Deutschland aufzugeben und sich hier in Fi in die Arbeitslosigkeit zu stuerzen oder mit Gelegenheitsjobs muehsam ueber Wasser zu halten. Oder viele Jahre zu kämpfen, bis man sich was aufgebaut hat. Ist man aber aus anderen Gruenden nun mal hier und will sich was eigenes aufbauen oder findet halt keinen "normalen" Job und sucht nach Alternativen, so kann z.B. einen Osk. eine davon sein.

Was das "richtige" Unternehmertum angeht, pflichte ich dir bei. Hier in Finnland werden Arbeitslose schnell in die verschiedensten Kurse und Fortbildungsprogramme gesteckt - oft mit geringen Erfolgsaussichten fuer die spätere Jobsuche. Das ist dann sicherlich nur Verschönung der Statistiken.
Unternehmerkurse gibt's auch zu Hauf, genauso viele Versprechungen und falsche Hoffnungen. Generell wird gerechnet (gibt natuerlich Ausnahmen), dass es mind. 5 Jahre braucht, bis ein Unternehmen "steht", also wirtschaftlich ist. In den 5 Jahren fallen aber alle möglichen Kosten an (v.a. Versicherungen, Instandhaltungskosten), die gedeckt werden muessen. Oder man hat gar keine Kohle, irgendwelche Versicherungen zu zahlen (bzw. wählt sie zu niedrig) und lebt dadurch gefährlich. Und man bekommt halt keine Hilfe mehr vom Start - vom Starttiraha im ersten halben Jahr-Jahr abgesehen (und das ist auch nicht viel). Selbständigkeit lohnt sich nur, wenn man entweder ein gutes finanzielles Polster oder bereits schon einige gute Kundenkontakte hat, finde ich.

Zur osuuskunta/cooperative:
Hier sind ein paar Infos in "Trocken". http://www.ouka.fi/ouluseutu/yrityspalv ... -operative
Die Stärke der Osk. ist hauptsächlich, dass man in dieser Unternehmensform (bei 7 Mitgliedern) nicht seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld/Sozialhilfe verliert.

Wie wird den in der 7 Mitglieder(mit 3 geht wohl auch) Osuuskunta die Buchhaltung/Steuern/Haftung gehandthabt?

Drei ist die Mindestzahl zur Gruendung. Jeder zahlt einen gewissen Geldbetrag ein (wird von der jeweiligen Osk. festgelegt). Diese Gelder bleiben als Einsatz/Grundeigentum (oder wie man's auch nennt) auf dem Konto liegen und werden zurueckgezahlt, wenn/falls das Mitglied aus der Osk. austreten möchte. Austritt ist möglich zur jeweiligen Frist (wird von der Osk. festgelegt).
Mit nur 3 Personen hat man einen recht grossen Anteil an der Firma und damit den Status eines "richtigen" Unternehmers. Möchte man Arbeitnehmerstatus haben (und damit z.B. das Anrecht auf Arbeitslosengeld/Sozialhilfe nicht verlieren), dann muessen in der Osk mindestens 7 Mitglieder sein. Buchhaltung usw. kann jede Osk. so regeln, wie sie will (solange es richtig/legal läuft). Manche nehmen einen Buchhalter von "aussen", andere haben in eigenen Kreisen jemanden, der sich damit auskennt. In Sachen Haftung kann ich mich nur noch dran erinnern, dass es recht sicher fuer den einzelnen war .. man haftet nur mit seinem Einsatz (pääoma). Muesstest ggf. mal nach dem genauen Wortlaut (Gesetz) im Internet graben. Als "richtiger" Unternehmer - tmi usw. haftet man mit seinem gesamten persönlichen Eigentum.

Zu Gewinnen/Verlusten und Rentenzahlungen:
Sagen wir mal, ich will fuer eine Arbeit x € haben. Dann rechne ich "Arbeitgebernebenkosten" (Materialkosten, Versicherungen und Oskprozentsatz) drauf, das Ganze plus Mehrwertsteuer - und habe dann den Endpreis y, den der Kunde zahlen muss. Hat der Kunde gezahlt, so sind auf dem Konto der Osk. y Euro. Ich kann mir dann x Euro Lohn auf Steuerkarte auszahlen (oder es werden mir x € gezahlt - je nachdem, wie es in der Osk geregelt ist). Also von den x Euros gehen dann noch ennakkopidätys/Lohnsteuer, Arbeitsrentenprozent und Arbeitslosenversicherungsprozent ab. Eigentlich genauso, wie in jedem anderen Angestelltenverhältnis auch. Die Höhe der Arbeitsrentenzahlungen richtet sich nach der Höhe der Einkuenfte.
Die Osk. hat als Arbeitnehmer die normalen gesetzlich vorgeschriebenden Versicherungen (Unfallversicherung usw.) plus ggf. je nach Arbeitsbereich/toimiala weitere frei wählbare Versicherungen (werden von der Osk. entschieden).

Der Oskprozentsatz ist zur Deckung der Osk-Kosten gedacht und wird von der Osk festgelegt. Man setzt sich also zusammen und gruebelt, wieviele gemeinsame Kosten die Osk hat - Buchhaltung, Internet, Firmentelefon .. das ist ja Firmenspezifisch. Hat die Osk nur wenig Einnahmen und viele Kosten, so muss der Prozentsatz recht hoch gelegt werden bzw. man muss sich anstrengen, die Kosten so klein wie möglich zu halten. Sind in der Osk. die Mitglieder gut aktiv und es kommt viel rein, so kann der Osk.prozentsatz auch ziemlich klein gelegt werden.
Wenn am Ende was von dem Osk%zahlungen uebrig bleibt, so setzt man sich zusammen und denkt nach, wozu man das Geld verwenden könnte. Braucht man gemeinsame Arbeitsgeräte, ...? Ansonsten kann der Gewinn auch auf dem Konto bleiben (und wird versteuert) oder per Lohnsteuerkarte an die Mitglieder ausgezahlt werden.
Kommt nicht genug rein und macht die Osk. Miese, so werden die als siirtovelka aufs nächste Jahr uebertragen und man muss sehen, dass man die tilgen kann. Wenn's dauerhaft nicht läuft, muss die Firma dicht machen.

Also - vieles ist auch einfach auf Verhandlungsbasis innerhalb der Osk. Das kann sehr positiv sein, wenn man ein gutes Team ist und gute Lösungen findet. Oder es kann auch sehr negativ sein, falls man nicht miteinander klarkommt und sich ueber jeden Pipifax nur streitet und dadurch nichts gebacken bekommt.
vox borealis

Re: Zunehmende Ausländerfeindlichkeit?

Beitrag von vox borealis »

@poro
Ich wünschte mir alle Immigranten die sich damit beschäftigen selbständig zu werden befassen sich mit der Materie so gut wie du. Die Genossenschaft als Rechtsperson ist in den letzten Jahren wider Erwarten ziemlich attraktiver geworden. Eurer osuuskunta bleibt nur viel Erfolg zu wünschen!
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Re: Zunehmende Ausländerfeindlichkeit?

Beitrag von poro »

Danke :) . Ich habe nach vielen Jahren osuuskunta dieses Jahr allerdings ein eigenes Unternehmen gegruendet. Ich war u.a. an einem Punkt, an dem ich in bestimmten Bereichen einfach keinen Bock auf Kompromisse hatte und einfach mein eigenes Ding drehen wollte. Ich bleibe aber trotzdem Mitglied in der osk; wir haben auch einiges an gemeinsamen Projekten laufen. Insofern habe ich mich mit der Zeit mit beiden Systemen ("Pseudounternehmertum" und "richtiges Unternehmertum") sowohl theoretisch als auch praktisch auseinander gesetzt. Einiges kann man sich anlesen, die Details kapiert man letztendlich aber meist durch learning by doing - vor allem hier, wo man hinter tiefergehenden Infos oft etwas hinterherrennen muss...
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