Was wir von den Finnen lernen können

Ideenaustausch zum Thema Leben in Finnland.
Thaisen
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Deutschland-Finnland 2 verschiedene Welten und doch EU....

Beitrag von Thaisen »

Heippa kaikkille,

also meine vier Jahre (1999-2003) in Finnland haben Spuren hinterlassen.

Grundsätzlich, denke ich ist, sollte jeder für sich wissen wo er beheimatet ist, denn schließlich ist Heimat dort wo man sich ,,zuhause fühlt".

Als Deutscher, zwar geboren auf Sri-Lanka und im Säuglingsalter adoptiert von 2 Hamburger Eltern verschlug es mich nach Finnland.

Aufgewachsen bin ich in der Nähe von Aachen (bei den Jecken ;) ), aber so herzlich freundlich wie sie sich immer im Karneval präsentieren sind sie auch nicht immer. Und dennoch war es eine sehr große Gemütsumstellung von Jeck zu den schweigsamen Finnen. Mit der Zeit gewöhnt man sich aber in der Metro morgens die Klappe zuhalten nicht lautstarke Konversationen zuführen. Ausserdem hat diese kollektive Stille nicht selten etwas meditatives ansich....

Ich möchte heute nicht die Vor- und Nachteile der jeweiligen Staaten Deutschland und Finnland auflisten. Zum Thema Bildungssysteme: in Deutschland haben Politik und Medienlandschaft nachdem schlechten Abschneiden der deutschen Schüler im internationalen PISA-Vergleich schnell nach Lösungen und Musterbeispielen gesucht, umso möglicherweise schnellstmöglichst Schadensbegrenzung zu tätigen. Jedenfalls wurde Finnland zum erklärten Ziel in Sachen bundespolitscher Bildungspolitik erklärt. Ich selbst wurde damals als Schüler der Deutschen Schule Helsinki von Journalisten der FAZ, TAZ und dem HH-Abendblatt interviewt. Fakt ist doch, dass 5.Millionen Finnen weniger Schüler haben als 82.Millionen Deutsche, sodass die individuelle Betreuung für leistungsschwächere Schüler viel leichter umsetzbar ist. Sprich eine zweite Lehrkraft kann der finnische Staat bezahlen. Hinzu kommt die Tatsache, dass wir in Deutschland einen höhren Prozentsatz an Kindern haben welche aus Familien mit Emigrantenhintergrund stammen. Und die natürlich und verständlicherweise Schwierigkeiten haben in Fächern wie Deutsch etc. Und deren Leistungen fließen ebenfalls mit ein. Fakt ist auch das besonders auf Hpt.schulen ein höherer Ausländeranteil ist und die Moral aller Schüler egal welcher Nationalität und welche Schule sie besuchen in Deutschland in den meisten Fällen gleich Null ist. 2 Lehrer in einer Klasse ist für Deutschland aus finanzieller Sicht Utopie!

In Finnland gibt es eine Art, ganz vulgär gesagt ,,Vorschule" im Kindergarten erlernnen die ErzieherInnen mit ihren Kleinen schulwichtige Grundelemente (leichte Rechenaufgaben, Schreiben etc.). Später von Kl. 1-9 Kl. gibt es dann intensive Betreuung für die Schüler. Lernschwache Schüler werden parallel von einer zweiten Lehrkraft begleitet und arbeiten so Defizite auf. Nach der 9Kl. können sich dann die finn. SchülerInnen entscheiden ob sie lieber in eine Berufsorientierteschule wechseln, oder auf eine Lukio (Gymnasium). Interessant: die meisten SchülerInnen in Finnland wechseln auf die Lukio. Und hier müssen bsp.weise diejenigen schon für Aufnahmeprüfungen an den Unis pauken (z.B.: in Medizin)- dass muss man sich mal vorstellen, noch kein Abi. aber schon für Uni pauken. Und nun kommt der entscheidene Punkt, meine eigene Erfahrung hat gezeigt dass meine finnischen Klassenkammeraden eine vorbildliche Arbeitsmoral an den Tag gelegt haben wie man sie sich in Deutschland nur erträumen könnte und diese Einstellung galt als selbstverständlich. Aber nun die negative Folge, man kann sich vorstellen das viele finnische Jugendliche unter enormen Leistungsdruck stehen. Die Selbstmordrate der Jugendlichen in Finnland ist die höchste in ganz Europa, darunter fallen auch die Personen die an Selbstmord gedacht haben bzw. die einen gescheiterten Suizid überlebt haben.

Diese Tatsache wird total weggeblendet wenn man über Finnland und das ,,vorbildliche Bildungssystem" spricht. Das Schulsystem ist keine Frage ideal, nur wird es in Deutschland nie durchführbar sein, dass ist der typ. Äpfel und Birnenvergleich....was bedauerlich ist,dass auch die negativen Folgen bei den Schülern in Finnland, oder auch Japan nie berichtet werden bzw. in dem Maße wie über die Vorteile des finnischen Bildungssystems geschwärmt wird.

Dies ist nur ein Thema worüber man sich Stunden unterhalten kann. Insgesamt denke ich, dass Deutschland und Finnland in vielerlei Hinsicht auf fast einer Augenhöhe sind, ich denke immer noch dass der deutsche Wohlstand leicht höher liegt als in Finnland, um ein Beispiel zu nennen.

Viel interessanter sind doch die deutsch-finnischen Beziehungen. Die gemeinsame Geschichte. Wieviel deutsch-finnische Ehen gibt es? (Okay, wieviele haben sich wieder getrennt wäre auch mal interessant zu wissen...;) ). Die Deutsche Schule Helsinki, die deutsch-luth. Gemeinde, deutsch-finnische Kindergärten,die Deutsche Bibliothek, das Deutsche Senioren Wohnheim, die deutsch-finnische Handelskammer, das Goethe-Institut, die deutsch-finnischen Beziehungen auf politscher Ebene, europazentriert als auch global gesehen haben eine lange,lange gemeinsame Geschichte.

Es sind zwar 2 Welten aber durch ihre lange gemeinsame Geschichte sind sie denke ich ein zu einer zusammengewachsen. Ich bin froh und stloz an einer so wichitgen Institution Schüler gewesen zusein. Der Geist dieser beider Nationen steckt in den Mauern der Deutschen Schule Helsinki. Es hört sich paradox an aber es ist tatsächlich. Der Begriff Begegnungsschule wurde an der Deutschen Schule Helsinki geprägt, nicht nur deswegen ist gerade die Deutsche Schule Helsinki die älteste Deutsche Auslands Schule der Welt.

Hoffen wir, dass die Finnen und die Deutschen Hand in Hand durch die Zukunft gehen.

Käthe Siegfried wird dieses Jahr 100 Jahre sie lebt in Helsinki und war vor langer, langer Zeit Grundschullehrerinn an der Deutschen Schule Helsinki
ihr Tipp für die Zukunft zwischen Finnen und Deutschen lautet wie folgt:

,,....Die Finnen könnten von den Deutschen lernen ein wenig Schlief zubekommen, sie können manchmal doch sehr derp sein, möchte ich sagen und die Deutschen von den Finnen......(kl.pause)......lernen (pause)......tjaaa......(wirklich 1 min pause!!)....vlt. eine gewisse Treue...."

danach musste selbst Käthe Siegfried lachen.

In diesem Sinne wünsch ich Euch was!!!!

Hyvää päivvää,heido.

Thaisen Rusch
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vole04
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Sehr nett

Beitrag von vole04 »

Also den letzten Post fand ich sehr nett.
Der urspruengliche Post allerdings ging meiner Meinung nach in eine andere Richtung, weniger in die der Systemverbesserung als die netten Dinge auzuzählen, uber die wir im Ausland lebenden in Deutschland schmunzeln, z.B. das mit dem Schnee und Autofahren.

Sonst stimme ich Thaisen bei einigem zu, aber man sollte dabei aber noch mindestend diesen weiteren Einwand in Betracht ziehen:
Ob eine Volkswirtschaft gross oder klein ist mag ein Faktor sein. Das hat man auch in Schweden, Niederlande und Dänemark gesehen. Aber warum soll die Finanzierung im Bildungswesen in Finnland einacher sein als in Deutschland. Wie angesprochen gibt es nur 5 mill. Buerger, somit auch weniger Steuereinnahmen und auch weniger Firmen. Also ist es doch eine Verhältnisrechnung und damit eher der Fall, dass Finnland sich den genannten 2. Lehrer leistet und Deutschland eben nicht.
Und dann sollte man sich fragen, woher dieses Geld kommt. Also ich wuerde sagen der Wohlstand in Deutschland ist da um ein vielfaches Höher um nur einmal Arbeitslosengeld (Hilfe) und die Basisgesundheitsvorsorge zu nennen. Ich kann und will das hier nicht weiter durchleuchten, aber es ist mehr das System, dass in Deutschland versteift ist und die Politik die sehr langsam arbeitet.
Mit meiner Mutter als Lehrerin ergeben sich da immer sehr viele Diskussionen, da meist der Meinung bin, dass die Mischung aus beiden Systemen recht optimal sein könnte. In Finnland ist nicht alles Gold was glänzt, aber Deutschland ist ein reformträges Land.

Aber das alles ist natuerlich jetzt eher politisch und sehr Meinungsabhängig und weniger "Was wir von den Finnen lernen könnten".

:lol:
Man soll bei allem was man tut immer man selbst bleiben.
Tenhola

Beitrag von Tenhola »

Uff, jetzt habe ich mich durch alle Seiten durchgelesen.

Ich glaube es gibt bei allen Euren Ausfuehrungen sicher ueberall ein "quäntchen" Wahrheit. Aber trotz allem getraue ich mich jetzt zu sagen, bei diesem und jenen scheint die mitteleuropäische Mentalität einfach noch sehr stark durch.
Damit will ich auch nicht sagen, dass man einfach das Maul halten muss, aber mit der Zeit ist es doch so, dass man sich an viele Unzulänglichkeiten (aus unserer Sicht) gewöhnt, gewöhnen muss, wir wollen ja nicht an einem Herzinfarkt sterben.
Finnen sehen und leben einfach anders und allem Anschein nach, haben sie auch nicht die Absicht grosse Änderungen vorzunehmen. Ein Finne hätte sicher in der BRD oder der Schweiz grosse Muehe, wenn er am Sonntag seinen Rasen nicht mehr mähen duerfte. Ich bin auch nicht von allem begeistert, aber sicher ueberwiegen die positiven Aspekte, sonst wäre ich vermutlich schon lange nicht mehr hier. Selbst meine Frau, hatte nach ueber 20 Jahren Aufenthalt in der Schweiz einige Muehe, aber wie schon gesagt das legte sich wieder.
Mir ist es auch unangenehm, wenn im Winter die Gehwege rutschig sind aber ich mache es jetzt einfach wie die älteren Leute ich schnalle mir die Krallen an die Schuhe. Darf ich, bin ja auch schon 63 :oops:
Also denkt an Euer Herz
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Anita
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Beitrag von Anita »

Tenhola hat geschrieben:Mir ist es auch unangenehm, wenn im Winter die Gehwege rutschig sind aber ich mache es jetzt einfach wie die älteren Leute ich schnalle mir die Krallen an die Schuhe. Darf ich, bin ja auch schon 63
Ich bin noch keine 63 und schnalle sie mir trotztem drunter. Ich habe nämlich keine Lust mir beim Gassigehen die Knochen zu brechen. Ich finde die Krallen klasse.
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