Finnland ist auch in der neuen PISA-Schulstudie mit dem Schwerpunkt Naturwissenschaften auf dem ersten Platz gelandet.
Trotzdem die Details der Ergebnisse noch nicht veröffentlicht sind, und ich selbst in Finnland auch nie zur Schule gegangen bin (also selbst persönlich keine Erfahrungen mit dem finn. Schulalltag gemacht habe), möchte ich trotzdem – ohne jetzt abschätzig zu sein, oder die Ergebnisse der Studie an sich in Frage stellen zu wollen – mal folgendes festhalten:
Für 15jährige, die in der peruskoulu im vorletzten oder letzten Jahr sind, mögen diese Ergebnisse stimmen. Bestimmte Grundfertigkeiten, wie Lesen, Schreiben und Beherrschen der Grundrechenoperationen, besitzt fast jeder finn. Schüler (der PISA-Test geht natürlich darüber noch etwas hinaus – aber nur etwas). Dies zeugt von einer soliden Grundausbildung und der Funktionalität des Einheitsschulkonzepts. Nicht zuletzt liegt es aber – ob man es nun wahr haben will oder nicht – sicherlich auch an dem ungewöhnlich niedrigen Ausländeranteil in Finnland. Das ist kein Rasismus (ich bin als Deutscher hier schließlich selbst Ausländer), sondern liegt in der Natur der Sache, dass man eben jene Grundfertigkeiten in seiner Muttersprache und dem dazugehörigen kulturellen Umfeld besser erlernt, als in einer Fremdsprache. In anderen Ländern gibt es somit eben einen größeren Prozentsatz, der selbst diese Grundfertigkeiten nur mangelhaft beherrscht, und den Durchschnitt entscheidend runterzieht. Schweden z.B., dessen Schulsystem dem finn. sehr ähnlich ist, rangiert nur auf Platz 22. Dort ist aber der Ausländeranteil wesentlich höher als hier. Oder gibt es andere offensichtliche Gründe für das schlechtere Abschneiden? Ich bin überzeugt, dass die Länderreihenfolge bei einem entsprechenden Vergleich in der Oberstufe (z.B. 12. Kl.) völlig anders aussehen würde, weil dann in allen Ländern der Anteil an Schülern, die selbst die Grundfertigkeiten nicht richtig beherrschen, nicht mit eingerechnet würde. Es ist zwar richtig, dass in Finnland wiederum der Prozentsatz jener, die Abi machen, höher ist als in den OECD-Ländern im Durchschnitt, aber ich bezweifle, dass das Niveau an finn. Schulen auch in der Oberstufe höher ist als beispielsweise an deutschen Schulen.
Und weil es dieses Mal im PISA-Test ja ausgesprochen um Naturwissenschaften ging: Ich möchte nach meinem Freiwilligenjahr hier in Finnland (möglichst an der Uni Helsinki) Mathematik studieren. Zu diesem Zweck habe ich mir u.a. mal von der Calculus-Serie das Lehrbuch ”Lukion pitkä matematiikka – lukiomatematiikan kertaus” sowie die Formelsammlung ”MAOL-taulukot” gekauft (vor allem, um mich mit dem mathematischen Vokabular vertraut zu machen). Da ich dieses Jahr mein Abi gemacht habe, sind mir die Inhalte des Mathe-Leistungskurses noch sehr gut in Erinnerung. Ich konnte keine nennenswerten Unterschiede zu dem Inhalt des finn. Lehrbuchs feststellen, einige Sachen vermisse ich sogar: Bei der analytischen Geometrie fehlen mir Ebenen- und Kugelgleichungen, und auch so grundlegende Integrationsmethoden wie partielle Integration, Integration durch Substitution oder Integration der Umkehrfunktion konnte ich nicht finden. Dieses Wiederholungsbuch ist natürlich sehr kompakt geschrieben, und ich weiß nicht, ob da nun wirklich alles drin steht, was in Finnland im Mathematikunterricht behandelt wird (laut Vorwort aber schon). Das deckt sich übrigens mit den Aussagen eines Halbfinnen, der in Deutschland sein Abi gemacht hat und jetzt aber hier studiert, und über Verwandte festgestellt hat, das man in Deutschland bis zum Abi im Matheunterricht viel weiter kommt als in Finnland. Auch wenn die finn. Schüler in der 9./10. Kl. also laut PISA-Studie in den Naturwissenschaften mehr drauf haben als deutsche Schüler, so wird das am Ende wieder aufgeholt. Ich werde mir demnächst noch das Buch ”Abi pitkä matematiikka” zulegen, vielleicht steht ja da mehr drin. Das Physikwiederholungsbuch (fotoni 9 – kertauskurssi) habe ich mir noch nicht genauer angeschaut, aber auch da erwarte ich nichts wirklich Neues.
Ein anderes Beispiel: Ich habe mir die Mathe-pääsykokeet der Uni Helsinki der letzten drei Jahre angeschaut, und fand die Aufgaben dort auch alle einigermaßen machbar (von ein paar Vokabularschwierigkeiten abgesehen – aber dafür habe ich ja noch ein halbes Jahr Zeit). Außerdem braucht man bei Mathe in der Regel nur drei Viertel der Punkte um reinzukommen, bei Physik manchmal sogar nur die Hälfte! Selbst Finnen sagen, dass es relativ leicht ist, in Helsinki in die naturwissenschaftliche Fakultät reinzukommen – und in manch andere Uni kommt sogar direkt, wenn man in der ylioppilastutkinto in Mathe und Physik eine 9 oder 10 hat.
Und auch das (leider) bescheidene Abschneiden Finnlands bei der internat. Mathematikolympiade spricht eine klare Sprache: Im letzten Jahr war Finnland 39., dieses Jahr sogar nur 61. von 93 Teilnehmerländern. Und die Begründung, dass Finnland ja nun dennoch ein relativ kleines Land ist, zählt nicht, denn vor Finnland waren u.a. Armenien, Albanien und Estland (Deutschland übrigens auf Plaz 15 hinter Thailand und Iran)! Das beste Einzelergebnis in der finn. Mannschaft (eine Silbermedaille!) erreichte Sebastian Dumitrescu - also auch nicht gerade ein finn. Name. Die mathematische Elite unter den Schülern ist in Finnland also verhältnismäßig klein und schwach.
Und ehrlich gesagt hab gibt es auch keine wirklich bedeutenden finn. Mathematiker oder Physiker (naja, vielleicht Gunnar Nordström oder Rolf Nevanlinna).
Lange Rede, kurzer Sinn: Die Grundschulausbildung ist in Finnland tatsächlich besser als anderswo (wobei das Bild allerdings durch den geringen Ausländeranteil verzerrt wird), aber finn. Schüler sind deshalb nicht ”klüger” als andere. Und wer interessiert sich in der Praxis eigentlich schon dafür, welche Leistungen 15jährige erbringen? Der Arbeitsmarkt vielleicht? Oder etwa die Forschungsgemeinschaft? Wohl eher nicht: Forschung wird in Unis und Instituten betrieben, da spielt also das Grundschulsystem des jeweiligen Landes so gut wie keine Rolle. Und einen potentiellen Arbeitgeber interessiet (neben der Arbeitserfahrung etc.), welchen Abschluss man als Letztes erreicht hat (Studium, Ausbildung, etc.), und nicht, was man als 15jähriger konnte. Ich denk mal, dass ich alle Zeugnisse, die ich bis zur 10. Kl. bekommen habe, inzwischen getrost wegschmeißen könnte, weil die sowieso niemand mehr irgendwann sehen wollen würde.
In der peruskoulu erfüllt der finn. ”hyvinvointivaltio” seine Aufgabe hervorragend. Alles, was darüber hinausgeht, ist meiner Meinung nach eher Mittelmaß. Aber was soll man von einem Land mit 5 Mio. Einwohnern am Rande Europas auch erwarten?