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Mehrsprachigkeit in Finnland

Verfasst: Fr Nov 24, 2006 9:05 pm
von Georg
Mit Neumi war die Sache ein wenig off topic gelaufen im Bereich Kinder und Familie, deswegen eröffne ich einen neuen Thread hier.

Thema war, wie man in Finnland mit der Mehrsprachigkeit um geht, also mit den beiden Hauptsprachen Finnisch und Schwedisch, und natürlich auch mit den Minderheitensprachen Roma, saami und Taubstummensprache.

Was sind Eure Erfahrungen, habt Ihr irgendwelche Erfahrungen damit gemacht?

Persönlich habe ich nur wenige negative Erfahrungen mit Schwedischsprachigen gemacht, deren Finnisch so schlecht war, dass sie aus meinem damals noch sehr mäßigen Finnisch nicht heraushören konnten, dass ich Ausländer bin, sondern mich zu der Abteilung "arrogante Finnischsprachige" packten. Das war allerdings in Tammisaari, der Hochburg des Schwedentums in Südfinnland.

Verfasst: Sa Nov 25, 2006 12:33 pm
von Markus
Ich habe eher die umgekehrte Erfahrung gemacht, da ich (immer noch) besser Schwedisch als Finnisch spreche. Da lässt so mancher Finne gern seinen "Herren-Frust" :P an Einem ab, wenn man's unbedarft auf Schwedisch versucht. Passiert mir zum Glück schon seit Jahren nicht mehr, denn aus Schaden wird man ja klug.
Andererseits kenne ich das Phänomen natürlich auch sehr gut aus der finnischen Perspektive und bin immer mal wieder "Ohrenzeuge" finnlandschwedischer Hochnäsigkeit gegenüber finnischen Finnen geworden.

"Man" mag sich halt nicht soooo besonders, aber sonderlich aufmucken tut heutzutage sowiso keine Seite mehr und die finnlandschwedische Jugend parliert ein munteres Kauderwelsch aus Finnisch und Schwedisch, das zum Mitraten einlädt. Kostproben gibt's regelmässig in der Strassenbahn. :shock:

Schwedischsprachige Finnen Abend

Verfasst: So Nov 26, 2006 7:29 pm
von Norbert
Wir hatten vor ein paar Wochen einen Schwedischsprechenden Finnen Abend.
Aus dem Gespräch ergab sich für mich folgendes Bild:

- Es gibt noch ein paar kleinere Vorurteile von Finnen den finnlandschweden gegenüber, aber wirklich sehr klein, dass sie es grad noch verdienen erwähnt zu werden, aber nicht so gross, dass sie problematisiert gehören.

- die Umsetzung der zweisprachigen Regelung ist ungenügend,
auf den Ämtern gibt es einige Formulare nicht auf schwedisch - und Ansprechpartner sind MAngelware.
Also, wenn man Zeit hat, füllen die Finnlandschweden halt die finnischen Formulare aus und lassen sich finnisch beraten, wenn sie sehr viel Zeit haben und die Angelegenheit nicht gar so dringend oder wichtig ist, dann "beharren" sie schon auf ihrem Recht, diese Angelegenheit auf schwedisch zu regeln.

- In der Vasa-Region und auf Aland ist die Lage etwas anders, da hier die Finnlandschweden in der Mehrheit sind.
ansonsten können alle Finnlandschweden recht gut finnisch und benutzen es auch ausgiebig.

- In der Geschäftswelt ist finnisch ein Muss, schwedisch ein nice to have und von Vorteil.

Norbert

Verfasst: So Nov 26, 2006 11:08 pm
von Sid
In Porvoo werden tatsächlich beide Sprachen gleichwertig behandelt. An manchen Stellen dominiert Schwedisch sogar. Man muss es aber nicht können. So kam ich jahrelang zurecht. In der Hauptstadtregion find ich es traurig, welchen Hürden und Gehässigkeiten man oft begegnet, obwohl es eine gleichwertige Amtssprache ist. Eigentlich sollten zumindest offizielle Stellen Schwedisch beherrschen. Die Tests von Helsingin Sanomat fielen eher mau aus.

Verfasst: Mo Nov 27, 2006 9:34 am
von Neumi
Ich bin sozusagen ein Opfer, bin nämlich mit einer Finnlandschwedin verheiratet. :wink:

Zuerst zu meinem Schwedisch :
Diese Sprache habe ich bis heute ziemlich gut gelernt, kann mich auf Schwedisch unterhalten, wenn es nicht gerade irgendwelche Spezialthemen sind. Nachrichten und Zeitung auf Schwedisch zu lesen / hören sind kein Problem für mich.

Die Finnlandschweden die ich hier in der Hauptstadtregion kenne sprechen praktisch alle nahezu perfektes Finnisch.

Wenn ich auf Ämtern (vor allem bei älteren Personen) mit Englisch nicht weiter komme hilft mir meist mein Schwedisch, denn mein Finnisch ist eine Katastrophe.

Leider habe ich auch gemerkt, dass es diese Klassenunterschiede zwischen Schwedischsprachigen und Finnischsprachigen wirklich gibt. Vielleicht ist es hier in Soukka etwas extremer. Zum Beispiel im Kindergarten (Lekskola) sind wir fast die einzige Familie die in einer Wohnung wohnt, fast alle anderen wohnen in einem Haus. Wer die Häuserpreise in Soukka kennt, versteht was ich damit meine.
Trotzdem habe ich von einer Rivalität zwischen den Schwedischsprachigen / Finnischsprachigen kaum je was gespürt. Sehr selten hört man Menschen über pakko ruotsi sprechen.

Jedenfalls kann ich von mir behaupten dass ich mehr oder weniger eine Landessprache spreche. :D

Verfasst: Mo Nov 27, 2006 11:50 am
von Rosi
Da sieht die Situation im Osten Finnlands etwas anders aus, als in südlicheren Gegenden. Hier habe ich den Begriff Pakko- Ruotsi kennengelernt und des Öfteren auch gehört. Auf keinem Amt findet man jemanden, der wirklich schwedisch spricht, obwohl es alle mal lernen mussten. Hier sind in der Praxis auch eher Russischkenntnisse angebracht. Strassenschilder auf Schwedisch gibt es ab kurz hinter Porvoo auch bald nicht mehr. Und hinter Kouvola fängt eh Karelien an, da ist nix mit Schwedisch. Wenigstens bin ich so nicht in die Versuchung gekommen was anderes als Finnisch zu lernen :wink:

Verfasst: Mo Nov 27, 2006 12:34 pm
von Anita
In Tampere gibt es nicht so viele schwedischsprechende Finnen. Mir ist es kaum bewusst das ich in einem zweisprachigen Land lebe. Von juengeren Finnen habe ich wohl des öfteren gehört, dass sie Schwedisch als Pflichtfach weghaben möchten und dafuer lieber eine weitere Fremdsprache (russisch, spanisch, italienisch etc.) lernen möchten.
Wir haben einige wenige schwedischsprechende finnische Freunde aus HEL. Fuer mich ist der Umgang mit denen leichter. Wir unterhalten uns schon auf finnisch, abe wenn die merken, dass ich mit meinem Wortschatz am Ende bin, schwenken sie sofort auf englisch oder deutsch um, einfach um mir da weiterzuhelfen. Bei den nur finnischsprechenden Finnen, bekomme ich in solchen Situationen oft nur fragende Blicke zugeworfen so nach dem Motto: "Was will die uns denn jetzt sagen". Aber gleichzeitig fragt man auch nicht nach: "Meinst Du evtl. dieses oder jenes", also keine Hilfestellung!

Verfasst: Mo Nov 27, 2006 12:52 pm
von Neumi
Von juengeren Finnen habe ich wohl des öfteren gehört, dass sie Schwedisch als Pflichtfach weghaben möchten und dafuer lieber eine weitere Fremdsprache (russisch, spanisch, italienisch etc.) lernen möchten.
Zum Glück können die Jungen dies noch nicht entscheiden. Ich finde es sehr wichtig, dass die zweite Landessprache als Pflichtfach gegeben wird. Man ist ja inzwischen soweit, dass man fürs Abitur Schwedisch nicht nicht mehr zwingend prüft.
Ich selber hat es als Jungendlicher auch gestört, dass ich Französsisch statt Englisch als erste Fremdsprache lernen musste. Inzwischen sehe ich dies mit ganz anderen Augen. Es ist wichtig, dass der Staat die eigenen Landessprachen in der Schule "zwingend" fördert.

Verfasst: Mo Nov 27, 2006 2:13 pm
von schneemaennchen
hier in joensuu hat man mit schwedisch keine chance.
in meinem sprachkurs war ein schwede und außer unserer lehrerin hat (und konnte) niemand mit ihm schwedisch sprechen.
er hat es sowohl bei kela, als auch beim arbeitsamt versucht - ohne erfolg.

(ich hingegen fand bei kela jemanden, der perfektes deutsch sprach)

hier kommt man mit englisch durch und vermutlich sprechen die einen oder anderen russisch, weil das die größe ausländergruppe hier in joensuu ist.

Verfasst: Mo Nov 27, 2006 2:33 pm
von Neumi
Die Pflicht der öffentlichen Ämter , Service auf Schwedisch anzubieten, ist nur vorhanden, wenn ein gewisser Prozentanteil der Bevölkerung Schwedischsprachig ist. Ist ja auch verständlich ! Nur scheitert es bei vielen nur schon am Willen Schwedisch zu sprechen, leider.

Verfasst: Mo Nov 27, 2006 11:20 pm
von Georg
Ich habe auch sehr viele positive Erfahrungen mit Schwedischsprachigen gemacht, mein erster Kommentar war etwas negativ gefärbt.
Man muss wohl wirklich nach Regionen trennen. Wenn ein ostfinnischer Beamter Schwierigkeiten hat, einen Kunden auf Schwedisch zu bedienen, so muss man da ein bischen Nachsicht haben - wie schnell gehen aktive Sprachkenntnisse verloren, wenn man die Sprache nicht üben kann. Wenn er hingegen nicht will, obwohl er kann, dann ist das ein ganz anderes Thema.

In aller Regel, besonders in Helsinki und Umgebung ist es jedoch schiere Faulheit, wenn sie behaupten nicht einmal schwedisch zu verstehen.

Das Ideal von Zweisprachigkeit wäre für mich, wenn jeder sich auf seiner Muttersprache mitteilen könnte. Der andere würde die Sprache gut genug verstehen, dass er dann auf seiner Muttersprache antworten könnte. Solche Situationen habe ich schon erlebt, doch ist das sehr selten.

Verfasst: Di Nov 28, 2006 9:03 am
von Neumi
Das Ideal von Zweisprachigkeit wäre für mich, wenn jeder sich auf seiner Muttersprache mitteilen könnte. Der andere würde die Sprache gut genug verstehen, dass er dann auf seiner Muttersprache antworten könnte. Solche Situationen habe ich schon erlebt, doch ist das sehr selten.
Ich kenne eine Familie die das so praktiziert. Er Finnlandschwede, sie Finnischsprachig. Er spricht mit ihr Schwedisch und sie mit ihm Finnisch. Hat mich angfangs total verwirrt, aber scheint wirklich gut zu klappen.

Verfasst: Di Nov 28, 2006 9:52 am
von Sid
Auch wenn ich selbst von Schwedisch als Sprache nicht so begeistert bin, finde ich so einen Service in öffentlichen Stellen der Hauptstadt nicht fair

http://www.hs.fi/english/article/Are+Yo ... 5221429852

Dann hab ich ein Interview mit Astrid Thor, die sich für die Rechte der schwedischsprachigen Finnen einsetzt, gesehen. Im Zusammenhang mit der Dienstleistung (Gesundheitswesen insbesondere) gerade für ältere Menschen, ging es darum, dass es möglich sein sollte, uneingeschränkt Schwedisch benutzten zu dürfen. Im Falle der Demenz ist es vorbei mit der aktiven Benutzung einer Nicht-Muttersprache, wie Finnisch. Es geht ganz einfach ums Prinzip. Es ist keine Minderheitssprache, es ist eine offizielle Amtssprache und das gilt für das ganze Land. Meiner Meinung nach, wenn es auch in "rein Finnischen Regionen" nicht so ist, die Hauptstadt ist bereits zum "melting pot" von Kulturen geworden und müsste diese Dienstleistung sichern.

Ferner erwähnte sie, dass sich Arbeitgeber zunehmend Mitarbeiter mit Schwedischkenntnissen wünschen, denn gerade auf dem europäischen Binnenmarkt kann man die Sprachmöglichkeiten nutzen, die ohnehin im Land Gang und Gäbe sind / oder besser sein sollten. Also die Zusammenarbeit der nordischen Länder, die der EU oder der EFTA angehören.

Verfasst: Di Nov 28, 2006 10:33 am
von Neumi
Kein wunder verwenden viele Finnlandschweden AKTIA als Bank oder Veritas als Versicherung usw., denn diese Firmen gewährleisten, das sämtliche Mitarbeiter Schwedisch sprechen. Hat mir selbst schon viel geholfen, bin es manchmal leid immer alles auf Englisch zu machen.

Will mal hier meine guten Erfahrungen mit Schwedisch mitteilen :

Arzt konnte kein Englisch, wir konnten uns beide auf Schwedisch unterhalten, es war für beide eine Frwemdsprache.

Katsastus, Apotheke, Hallenbad und Steueramt das selbe wie oben.

Wie ich schon früher mitgeiteilt habe, ist dies meist bei älteren Leuten der Fall. Jüngere sprechen viel lieber Englisch.

Verfasst: Di Nov 28, 2006 11:02 am
von Sid
Bei dem Integrationsseminar, an dem ich in Nov teilgenommen habe, wurde ein Programm für Ausländer gestartet. Die Mitglieder von http://www.multiculturalfinland.com und der SFP haben eine Art Partnerschaft zum kulturellen Austausch angeboten, d.h. man tauscht sich mit einem "Buddy" aus, lernt gegenseitig die Sprache, hier Schwedisch < --> die Muttersprache des Ausländers, egal wie exotisch sie ist, diskutiert kulturelle Unterschiede, usw.. Es gab eine Verlosung und eine Chinesin wird von Stefan Wallin persönlich betreut. Fand ich eine nette Geste, auch wenn ich daran nicht teilgenommen habe. Ich glaube man kann sich immer noch online melden, wenn man Interesse hat.

Die Veranstaltung war sehr interessant, wenn bloss ein finnischer "Unternehmer" diese nicht als Forum für fremdenfeindliches Gegröhl missbraucht hätte :roll: Die brenzliche Lage wurde von den Veranstaltern sehr cool unter Kontrolle gehalten. Alles, das derjenige zu sagen hatte war, dass man erst Finnisch dann Schwedisch lernen solle bzw. man brauche qualifizierte Ausländer aber die was kommen sind unnütz, dass Integration mehr als 100 Jahre dauert... Ja, vor allem wenn man in der Gesellschaft auf solche ablehnenden Stellungen trifft, wie seine.