Deutsche in Finnland

Wie läuft es denn, wenn man zu einem Spezialisten will? Geht alles über das Terveyskeskus, d.h. holt man sich für alles eine Überweisung (z.B. Orthopäden, Logopäden, Augenarzt, Psychologen etc.etc.)?

Ich meine den normalen Amtsweg - ohne private Krankenversicherung.

Ich glaube es wird nicht so freizügig überwiesen, wie jemand schon berichtet hat. Das hängt davon ab, wie ernst die Sache ist und wie lange ist die Schlange zum Spezialisten.

In Privatpraxen muss man nur darum bitten und nach Ermessen des Arztes wird man sofort überwiesen und kriegt auch problemlos einen Termin.

Stefan hat geschrieben:...man kann nicht selber direkt zum Spezialisten...?

Das ist doch in Dtlnd auch nicht anders heutzutage?

Stefan hat geschrieben:Wenn ich ein Augenleiden hab, weiß ich das selber und hab keinen Nerv, erst mit nem Feld- Wald- und Wiesendoc darüber zu diskutieren und die neueste Bachblütentherapie von der er grad gelesen hat, zuerst zu testen...

Zunächst muss man sich als Deutscher daran gewöhnen, dass in Finnland nicht für jedes Wehwehchen der hochbezahlte Spezialist angerollt wird. Und Sperenzchen a la Bachblütentherapie kannst du dir im öffentlichen System sowieso abschminken. Wer ein entzündetes Auge hat, geht zur Krankenzentrale und die Krankenschwester empfiehlt dir Augentropfen (die du selbst kaufen und bezahlen darfst, solange sie nicht verschreibungspflichtig sind).

Genaue Aussagen zur ursprünglichen Frage habe ich nicht gefunden, aber aus dem mir bekannten Material würde ich schließen, dass man erst zum Hausarzt muss: http://www.hel2.fi/terveyskeskus/svensk ... gning.html

Gerade Augen... ich hatte eine verschleppte Augenentzündung, nur weil es sowas wie eine direkte sachkundige Abhilfe nicht gab. Ich wurde von Pontius zum Pilatus geschickt, weil man an den TK-Tussis nicht vorbeikommt, priv. Augenarzt erst in 3 Wochen und dann der erstbeste. Es wurde mit hammermässigen Tropfen mit Antibiotika und Cortison von meiner Firmenärztin geheilt. Sie hat mir tieef in die Augen geschaut. Einige Wochen danach war ich (kostenlos!) bei meinem deutschen Kontaktlinsenanpasser und dort wurde festgestellt, das es alles andere als rosig aussieht. Bloss nicht krank werden...

"Teure Spezialisten" schön und gut, aber eine hoitaja / Krankenschwester oder ein Allgemeinmediziner haben nicht mal eine Ausstattung dafür ein Auge zu betrachten, geschweige denn die Kenntnisse. Ich wundere mich, als meine Freundin eine schwere Helicobacterinfektion hatte und ermittelt wurde dies von der Krankenschwester durch den Druck auf die Magengegend.

Tja, Kinderarzt ist hier ja auch was Besonderes - auf der öffentlichen Schiene kann ein Kind je einen Kinderarzt nur sehen, wenn's richtig schwer krank ist und ins Krankenhaus muß .
In Terveyskeskus und in Neuvola ist der Arzt immer "nur" ein ganz normaler Terveyskeskus-Arzt

Und sonstige Spezialisten... Bei einer Depression z.B. lautet die Behandlung in Terveyskeskus "voivoi" in Kombination mit einer Packung irgendwelcher nicht weiter erklärter Psychopharmaka . Therapie/Gespräche mit Psychologen oä Fehlanzeige, da gäbe es keine Termine. Man solle sich selbst (=privat) drum kümmern...

Beim Spezialisten anrufen, fragen was es kostet, Termin vereinbaren, hingehen und selbst bezahlen

Ansonsten musst Du wirklich über das Terveyskeskus oder wenn Du arbeitest, über Deinen Työterveyslääkäri. Mich bricht es auch an...

Für das Baby haben wir jetzt eine private Krankenversicherung abgeschlossen, haben uns auch alle zu geraten.

Sanna B. hat geschrieben: Und sonstige Spezialisten... Bei einer Depression z.B. lautet die Behandlung in Terveyskeskus "voivoi" in Kombination mit einer Packung irgendwelcher nicht weiter erklärter Psychopharmaka . Therapie/Gespräche mit Psychologen oä Fehlanzeige, da gäbe es keine Termine. Man solle sich selbst (=privat) drum kümmern...

Unsere Firma hat sogar eine speziell dafür zuständige Psychotherapeutin.

Wenn man sich privat versichert, bzw. die Kosten in Kauf nehmen möchte, kann ich wärmstens http://www.diacor.fi empfehlen. Es ist eine Grosspraxis fast überall um Helsinki. Zwar bezahlt meine Firma jegliche Spezialisten, aber dadurch, dass ich die Rechnung abzeichnen muss, kann ich sagen, dass die Kosten überraschend niedrig vgl. zu Deutschland sind. Es war kaum über 120 Euro, manchmal sogar unter 100 Euro. Das find ich günstig! Wenn man es bei Kela einreicht, springt der eine oder andere zehner noch raus Wenn aber die Gesundheit in Gefahr ist, find ich es lohnend. Einen sehr ausgiebigen Augenarzttermin (der aber einige wenige Wochen im voraus gebucht werden muss) z.B. bei Instrumentarium zahle ich 75 Euro. Kela erstattet 15-20 Euro davon. Dann würd ich doch nicht die ganze Rennerei bei TK auf mich nehmen, wenn ich guten Service bekommen kann.

Was ich bei Kela unschön finde, ist die Vernetzung und das man dann immer zu einem anderen Arzt kommt. Für mich ist es eine Vertrauenssache und ich hab nach einigen Fehlversuchen mir die einige wenige Spezialisten, die ich brauche, sorgfältig ausgesucht. Anfangs war es wichtig, dass sie Englisch sprechen. Inzwischen hab ich längst auf Finnisch gewechselt.

[quote="Stefan"]...man kann nicht selber direkt zum Spezialisten...?
Wenn ich ein Augenleiden hab, weiß ich das selber und hab keinen Nerv, erst mit nem Feld- Wald- und Wiesendoc darüber zu diskutieren und die neueste Bachblütentherapie von der er grad gelesen hat, zuerst zu testen...[/quote]


... wenn Du Gegner alternativer Heilmethoden bist, bist Du in Finnland gut aufgehoben! Das Risko, hier auf jemanden zu stossen, der bei harmlosen Dingen wie Erkältungskrankheiten etc. auf etwas anderes als Ibuprofen schwört, ist ziemlich gering. Ibuprofen ist hier sowieso bei so ziemlich allen Erkrankungen erstmal das Mittel der Wahl. Schmerz weg = geheilt. Eigentlich ganz einfach. Ich persönlich habe die Vermutung, dass die Finnische Ärzteverbindung oder zumindest die Apotheker Hauptaktionäre beim Hersteller sind.

Aber ernsthaft: ich trinke bei kleinen Wehwehchen wie Erkältungen, Husten oder Magenproblemen ganz gerne Tee. In Deutschland ueberall erhältlich. Als ich hier in der Apotheke nachgefragt habe, wurde mir mitgeteilt, dass sie nur Medizin haben und ich bei Erkältung gefälligst Ibuprofen nehmen solle. Punkt.

Alternativen zur Schulmedizin sind praktisch nicht existent.

Katja hat geschrieben:.. wenn Du Gegner alternativer Heilmethoden bist, bist Du in Finnland gut aufgehoben! Das Risko, hier auf jemanden zu stossen, der bei harmlosen Dingen wie Erkältungskrankheiten etc. auf etwas anderes als Ibuprofen schwört, ist ziemlich gering.

Alternativen zur Schulmedizin sind praktisch nicht existent.

Das fiel mir auch als erstes ein. Als ich hier nach Akkupunktur fragte, die mir in D gut half, wurde ich auch etwas belächelt. Homöopathie ist ebenfalls nicht sehr beliebt. Mein Mann versuchte mir das mal zu erklären: die Wirksamkeit homöopathischer Mittel konnte nicht nachgewiesen werden, also wäre es falsch sie als wirksam zu verkaufen. Selbstmedikation sei auch nicht gern gesehen. Dem widerspricht aber die von Dir beschriebene und offensichtliche frohe Einnahme von Burana. Ich staune nicht schlecht, denn bei uns gabs als höchstes des Gefühle bei einer Erkältung mal eine Aspirin - und kein Schmerzmittel!

Ich wäre froh, hier einen Wald-und Wiesen Heilpraktiker zu finden, der besonders bei meinen Kindern nicht immer gleich die chemische Keule schwingt.

Im Unikrankenhaus bieten sie auf der Entbindungsklinik allerdings Akkupunktur zur Schmerzbekämpfung an.

Ich hab von meiner Friseurin eine Visitenkarte einer Heilpraktikerin bekommen. Nur fraget nicht, was das kosten wird...

Aber auch Ärzte sind irgendwie so drauf, wenn man fragt, ob man nach dem Absetzen der Pille Folsäure einnehmen solle, gab's ein "ne, das wird schon von alleine". Sehr fortgeschrittene Erkenntnisse fand man bei Ernährungstherapie (wird übrigens bei uns auch von der Firma bezahlt). Das einzige was mir missfallen hat, war die "Lobet das Rapsöl, runter mit Olivenöl" Hymne.

Stefan hat geschrieben:Es ist nunmal so, daß ein Allgemeinmediziner sich auf Allgemeinmedizin beschränken und die Fachspezifischen Dinge den Fachärzten überlassen sollte.

Genau deiner Meinung. Geht aber in Finnland nicht.

Oder richtiger - hier paßt wunderbar ein finnisches Sprichwort:
Rahalla saa ja hevosellä pääsee (mit genug Geld bekommt man was man will und auf dem Pferderücken kommt man vorwärts wenn der Weg zu Fuß zu lang ist) - so ist es, wenn du auf das öffentliche Krankheitssystem in Finnland angewiesen bist.

Das ist es ja, Zweiklassensystem. Die die Geld haben, die werden versorgt, die die's nicht haben, vielleicht. Ganz einfach, gelle.

Sanna B. hat geschrieben:das öffentliche Krankheitssystem in Finnland

Der war gut

Sanna B. hat geschrieben:Das ist es ja, Zweiklassensystem. Die die Geld haben, die werden versorgt, die die's nicht haben, vielleicht. Ganz einfach, gelle.

zustimm

Sid hat geschrieben: Unsere Firma hat sogar eine speziell dafür zuständige Psychotherapeutin.
Wenn man sich privat versichert, bzw. die Kosten in Kauf nehmen möchte [...]

Ja, das ist es ja... Ich finde es grottenübel, daß man hier ordentlich versorgt (?) wird nur, wenn man einen guten Job und dadurch eine private Krankenversicherung hat.
Aber darauf baut sich ja die finnische Gesellschaft, nur, wer auch im Arbeitsverhältnis steht, ist wer. Ich z.B. bin mit unseren Kindern daheim und somit auf die Willkür von TK überlassen. Wir können es uns schlichtweg nicht leisten, den Service von Mehiläinen &Co für mich in Anspruch zu nehmen.
Naja, das Meckern können sie mir wenigstens nicht nehmen, schnief...

Stefan hat geschrieben:Wirklich anders ist es in .de auch nicht.

Doch. Ist leider schon anders
Wir waren auch in D keine superverdiener, aber ich konnte trotzdem selbst wählen zu welchem Arzt ich ging und unsere Kinder hatten einen tollen Kinderarzt. Und unsere Ärzte kannten uns. Ach ja, und alleine die ganze Schwangerenvorsorge etc. in D... Wirklich nicht zu vergleichen mit dem was man in FIN kriegt.

Für einen gesunden jungen Mann ohne Familie ist das finnische System sicher besser; wenn man nicht zum Arzt muß, muß man sich auch nicht über die bezahlten Krankenkassenbeiträge ärgern.
Sobald man Frau ist (:mrgreen:), schaut's schon anders aus: nix Vorsorge beim Gynäkologen, so als Beispiel. Und ich werde jetzt gar nicht anfangen, wie's dann ist, wenn man/Frau dann Schwanger wird und Kinder kriegt...
Und die Zahngeschichten...

Stefan hat geschrieben:Hmmmmmmmmm. Meine Freundin meinte, gerade die Schwangerenvorsorge wäre viel besser in .fi...

Nö. Niemals.
Unsere zwei sind in D geboren ('02 und '04, alles also noch in bester Erinnerung), und ich kann mir nichts vorstellen, was hätte besser sein können. Ois perfekt, tutti completti.

Wenn ich nicht so ein Schiß vor der Schwangerschaft, Geburt und der Zeit danach in FIN hätte, hätten wir höchstwahrscheinlich bereits einen dritten kleinen Racker (wenn nicht gar einen vierten, aber erzählt das meinem Mann bloß nicht! )
Ohne Schmarrn, in D kann man ja wählen, wie man's haben will, ob man schulmedizinisch oder alternativ betreut werden will und wenn man sich nicht entscheiden kann (wie ich), nimmt man einfach beides mit. Mag ich meinen Arzt nicht, gehe ich zum anderen, paßt die Chemie mit der Hebamme doch nicht, wechsel ich einfach zu einer anderen und auch die Geburtsklinik wähle ich aus, so wie's mir paßt. Ich kann alternative Behandlungsmöglichkeiten wahrnehmen und v.A. bekomme ich sie auch (!), oder eben nicht, Jederfrau nach ihrem Gusto.

In Finnland wird nicht gewählt. Definitiv nicht. Es gibt Neuvola und Terveyskeskus-Arzt (nix Gynäkologe!) und das Krankenhaus in deinem Gebiet und das war's. Wählen ist nicht. Homöopathie oder Geburtsvorbereitende Akupunktur gibt's nicht, auch keine Geburtsvorbereitungskurse in der Art, wie wir sie kennen (d.h. keine Atemübungen - warum auch, es gibt doch Drogen...).
Die Hebamme kommt einmal nach Hause. Rückbildungskurse gibt's nicht.

Somit verliert FIN in dieser Disziplin ungefähr 0-10 gegen D. Aber das ist ja nur meine Meinung, ich mag ja auch Badewanne lieber wie Sauna