Apothekenstreik / Kündigung vieler Krankenschwestern

[Georg]

Zur Information aller, die aus Sprachgründen oder sonst den finnischen Nachrichten nicht so folgen können - es handelt sich um für jeden recht wichtige Dienstleistungen.

- Die Pharmazeutenvereinigung hat für den 15.11., 12.00-24.00 einen Warnstreik angekündigt. Ab 19.11. gehen sie in unbefristeten Ausstand, wenn bis dahin ihren Forderungen nicht nachgekommen wird. Damit würde die Tätigkeit der Apotheken erheblich eingeschränkt. Das Schlichtungsverfahren läuft.

- 12.500 Krankenschwestern und -pfleger haben zum 19.11. ihre Kündigung eingereicht. Die Kündigungen erfolgten gezielt in den besonders kritischen Bereichen - Notaufnahme, Intensivstationen, Entbindungen etc. und besonders in den Ballungsräumen. Dort ist die Kündigungsquote bei 50-60% des gesamten Personals, teilweise noch darüber. Mit den Kündigungen sollen erhebliche Gehaltserhöhungen erzwungen werden. Auch hier läuft das Schlichtungsverfahren. Sollte es scheitern, werden einzelne Krankenhäuser geschlossen und weitere Notmaßnahmen getroffen

[Sandra]

Ein Hoch auf die (eh schon kaum vorhandene) Krankenvorsorge.....

[Tenhola]

Ein Hoch auf die (eh schon kaum vorhandene) Krankenvorsorge.....

Also ich habe bis heute nur gute Erfahrungen gehabt.

[Martin]

...ich nicht so...

Während der Nacht stundenlang mit krankem (& schreiendem) Säugling in der Ambulanz in Jorvi warten - während gleichzeitig die betrunkenen "Opfer" einer Kneipenschlägerei sofort einen Arzt bekommen - war zum Beispiel nicht so toll... nur so als extremes Beispiel... zum Schluss kam dann wohl ein AiP wie's schien...

Die öffentliche Versorgung ist doch nun wirklich nicht sooo toll (Stichwort: Zahnarzt-Wartezeit). Oder vielleicht war ich nur immer bei den falschen Ärzten?
Bei uns geht's jedenfalls nur noch zu privaten Ärzten... solange wir es uns denn leisten können...

[poro]

Ach du liebe Zeit! Vielleicht sollten auch einfach alle Berufsgruppen in Streik treten. Sooo hoch sind die Löhne ja von den meisten nicht hier in Finnland ... Einige schreien nur lauter als die anderen.

[fax]

Ach du liebe Zeit! Vielleicht sollten auch einfach alle Berufsgruppen in Streik treten. Sooo hoch sind die Löhne ja von den meisten nicht hier in Finnland ... Einige schreien nur lauter als die anderen.

Manche Berufsgruppen sind eben gut organisiert und können so etwas durchziehen. Andere sind sich zu fein oder zu blöd für eine Gewerkschaft. Und wieder andere arbeiten in Berufen, in denen 20 Arbeitslose auf deinen Job warten. Und dann gibt es Branchen, in denen es sich die Arbeitnehmer leisten können, mit den Füßen abzustimmen und zur besser zahlenden Konkurrenz zu wechseln. Und so weiter...

Während der Nacht stundenlang mit krankem (& schreiendem) Säugling in der Ambulanz in Jorvi warten - während gleichzeitig die betrunkenen "Opfer" einer Kneipenschlägerei sofort einen Arzt bekommen

Du hättest aber nicht mit den Betrunkenen im gleichen Wartezimmer warten wollen, oder?

Aus eigener Erfahrung kann ich nur bestätigen, dass wirklich dringende Sachen schnell gemacht werden und nicht dringende können eine Ewigkeit dauern. Ich kenne Leute, die haben über ein Jahr auf eine Knieoperation gewartet, bis es ihnen zu blöd wurde, durch die Gegend zu humpeln, und sie in ein Privatkrankenhaus gegangen sind. Ähnliches beim Zahnarzt. Es gibt gute betriebswirtschaftliche Gründe dafür, nicht umsonst hat Finnland eines der effizientesten Versorgungssysteme der Welt, aber angenehm ist das nicht.

[Nordlicht]

Das Arbeitsgericht hat heute morgen bekanntgegeben, dass die Kollektivkündigung des Krankenpflegepersonals rechtswidrig sei, womit diese Krise fürs Erste entschärft ist.

Was man wissen sollte (Anm.: dies ist keine politische Stellungnahme):
Nachdem nach den Frühjahrswahlen die Sozialdemokraten nicht mehr in der Regierung vertreten waren, war es wie bei dieser Konstellation wie schon in der Vergangenheit wahrscheinlich, dass die Streikbereitschaft zunehmen würde. Entsprechend gelassen reagiert die Bevölkerung auf die zu erwartenden Ausnahmesituationen.

[Georg]

Das Arbeitsgericht hat heute morgen bekanntgegeben, dass die Kollektivkündigung des Krankenpflegepersonals rechtswidrig sei, womit diese Krise fürs Erste entschärft ist.

Die Kollektivkündigung ist, soweit ich das verstanden habe, nur für die 750 beamteten Pfleger unzulässig. Die restlichen 11 750 dürfen kündigen. http://www.yle.fi/news/id74352.html . Von daher ist die Situation also unverändert. Es scheint jedoch auf Arbeitgeberseite die Bereitschaft zu steigen mehr zu zahlen. Der Staat hat eine Möglichkeit gefunden, Geld an die Gemeinden zu lenken, ohne selbst zu zahlen.

[Jakob]

Im Prinzip ist immer noch ziemlich unklar, was in den nächsten zwei Wochen passiert: Die Zahl der Kollektivkündigungen ist durch das heutige Urteil nur unwesentlich gesunken (von 12800 auf 12000), und die Krankenpflegergewerkschaft muss einige Tausend Euro Strafen zahlen. Viel wichtiger ist allerdings, ob der eingesetzte Schlichtungsrat bis Donnerstag früh einen Kompromissvorschlag vorlegt, über den die gewerkschaft dann nächste Woche Dienstag abstimmen könnte. Falls kein Kompromiss erzielt wird, wird im Parlament wahrscheinlich ein wie auch immer geartetes Zwangsgesetz (pakkolaki) eingebracht, dass die Krankenpfleger zumindest in Notaufnahmen, Instensivstationen und Kreissälen zur Arbeit zwingen soll. Zur Zeit ist aber noch nicht klar, ob das grundgesetztechnisch überhaupt möglich ist (das hängt stark vom letztendlichen konkreten Inhalt des Gesetzestextes ab), aber das Parlament würde womöglich auch am Wochenende zusammentreten, um die Gestzesvorlage zu behandeln.
Bisher ist aber wie gesagt alles noch sehr unklar.

Meine persönliche Meinung zu diesem ganzen politischen Zirkus (zumindest was die Regierung angeht) hat der Generalsekretär der grössten Oppositionspartei (SDP) gestern treffend zusammengefasst: "Zuerst werden grosse Erwartungen geweckt, dann werden die Wahlversprechen nicht eingelöst, und jetzt eben ein Zwangsarbeitsgestz gemacht - wirklich schlechte Arbeit!"
Ich finde allerdings auch, dass die Krankenpfleger deutlich zu wenig verdienen, und für die ist es sicherlich kein Zirkus, sondern der Kampf um gerechte Löhne. Ich hoffe wirklich, dass sie das jetzt zu Ende durchziehen, und dann wenigstens 15% Lohnerhöhungen bekommen. Warum muss man jetzt 2 Mrd. Euro in die Schuldentilgung stecken, wenn die Gesamtverschuldung Finnlands nicht mal 40% des BIPs beträgt (in D über 60%)?

[Georg]

Warum muss man jetzt 2 Mrd. Euro in die Schuldentilgung stecken, wenn die Gesamtverschuldung Finnlands nicht mal 40% des BIPs beträgt (in D über 60%)?

Weil, lieber Jakob, die Lohnerhöhungen laufende Kosten verursachen. Das ist nicht damit getan, dass man dieses Jahr zwei Milliarden übrig hat, sondern die Lohnerhöhung muss auch noch 2008, 2009, 2010 etc. bezahlt werden. Durch die Rückzahlung von 2.000.000.000 werden in Zukunft werden in Zukunft über 200.000.000 Euro pro Jahr an Schuldendienst gespart.

[Martin]

Du hättest aber nicht mit den Betrunkenen im gleichen Wartezimmer warten wollen, oder?

Da hast du wohl recht... andererseits hätte ich ja dann nicht mehr warten müßen...
Jedenfalls möchte ich sowas nicht noch einmal erleben.

[Catl]

Jetzt werden Patienten schon ins Ausland ausgeflogen!
http://afp.google.com/article/ALeqM5hCG ... O66Lg2KDxw

Ist denn keine Einigung in Sicht?

[Sid]

Ja, darüber haben sie berichtet. Gut, dass sie irgendwelche Massnahmen vorbereitet haben.

PS. Ich musste gerade bei der Schreibweise von Töölö schmunzeln:

Toeoeloe-Krankenhaus

[Catl]

PS. Ich musste gerade bei der Schreibweise von Töölö schmunzeln:Toeoeloe-Krankenhaus

Du hast Recht! Ist mir gar nicht aufgefallen, hab den Namen auch noch nie gehört. Da hat wohl jemand mit englischer Tastatur geschrieben...

[Sid]

Ist eins der grössten Helsinki Krankenhäuser mit dem Charm von Aki Kaurismäki Filmen. Originalton meine Kollegin nach 7 OPs "This was a cool place... sometimes in the 70s".