Finnland wieder Spitzenreiter in neuer PISA-Studie

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latosaari
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Finnland wieder Spitzenreiter in neuer PISA-Studie

Beitrag von latosaari »

Finnland wieder Spitzenreiter in neuer PISA-Studie :D


Berlin (AFP) — Finnland ist auch in der neuen PISA-Schulstudie mit dem Schwerpunkt Naturwissenschaften auf dem ersten Platz gelandet. Auf den Rängen zwei und drei folgen Hongkong und Kanada, wie die für die Untersuchung verantwortliche Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) am Donnerstag in Berlin mitteilte. Bereits am Mittwochabend war bekannt geworden, dass Deutschland auf Rang 13 landet. Deutschland liege damit zum ersten Mal signifikant über dem OECD-Durchschnitt, erklärte die Organisation. An der aktuellen Studie hatten 57 Staaten teilgenommen.

Die Ergebnisse in Naturwissenschaften sind laut OECD aber nicht direkt mit denen früherer PISA-Studien vergleichbar. Umfang und Struktur der Tests in diesem Bereich hätten sich stark verändert. Die OECD untersucht bei PISA die Leistungen 15-jähriger Schüler. Getestet werden dabei jeweils die Bereiche Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften. Allerdings setzt die OECD bei jeder Studie einen anderen Schwerpunkt. In diesem Fall sind dies die Naturwissenschaften. Die kompletten Ergebnisse der neuen Studie werden am Dienstag vorgestellt.

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Jakob
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Beitrag von Jakob »

Finnland ist auch in der neuen PISA-Schulstudie mit dem Schwerpunkt Naturwissenschaften auf dem ersten Platz gelandet.
Trotzdem die Details der Ergebnisse noch nicht veröffentlicht sind, und ich selbst in Finnland auch nie zur Schule gegangen bin (also selbst persönlich keine Erfahrungen mit dem finn. Schulalltag gemacht habe), möchte ich trotzdem – ohne jetzt abschätzig zu sein, oder die Ergebnisse der Studie an sich in Frage stellen zu wollen – mal folgendes festhalten:

Für 15jährige, die in der peruskoulu im vorletzten oder letzten Jahr sind, mögen diese Ergebnisse stimmen. Bestimmte Grundfertigkeiten, wie Lesen, Schreiben und Beherrschen der Grundrechenoperationen, besitzt fast jeder finn. Schüler (der PISA-Test geht natürlich darüber noch etwas hinaus – aber nur etwas). Dies zeugt von einer soliden Grundausbildung und der Funktionalität des Einheitsschulkonzepts. Nicht zuletzt liegt es aber – ob man es nun wahr haben will oder nicht – sicherlich auch an dem ungewöhnlich niedrigen Ausländeranteil in Finnland. Das ist kein Rasismus (ich bin als Deutscher hier schließlich selbst Ausländer), sondern liegt in der Natur der Sache, dass man eben jene Grundfertigkeiten in seiner Muttersprache und dem dazugehörigen kulturellen Umfeld besser erlernt, als in einer Fremdsprache. In anderen Ländern gibt es somit eben einen größeren Prozentsatz, der selbst diese Grundfertigkeiten nur mangelhaft beherrscht, und den Durchschnitt entscheidend runterzieht. Schweden z.B., dessen Schulsystem dem finn. sehr ähnlich ist, rangiert nur auf Platz 22. Dort ist aber der Ausländeranteil wesentlich höher als hier. Oder gibt es andere offensichtliche Gründe für das schlechtere Abschneiden? Ich bin überzeugt, dass die Länderreihenfolge bei einem entsprechenden Vergleich in der Oberstufe (z.B. 12. Kl.) völlig anders aussehen würde, weil dann in allen Ländern der Anteil an Schülern, die selbst die Grundfertigkeiten nicht richtig beherrschen, nicht mit eingerechnet würde. Es ist zwar richtig, dass in Finnland wiederum der Prozentsatz jener, die Abi machen, höher ist als in den OECD-Ländern im Durchschnitt, aber ich bezweifle, dass das Niveau an finn. Schulen auch in der Oberstufe höher ist als beispielsweise an deutschen Schulen.

Und weil es dieses Mal im PISA-Test ja ausgesprochen um Naturwissenschaften ging: Ich möchte nach meinem Freiwilligenjahr hier in Finnland (möglichst an der Uni Helsinki) Mathematik studieren. Zu diesem Zweck habe ich mir u.a. mal von der Calculus-Serie das Lehrbuch ”Lukion pitkä matematiikka – lukiomatematiikan kertaus” sowie die Formelsammlung ”MAOL-taulukot” gekauft (vor allem, um mich mit dem mathematischen Vokabular vertraut zu machen). Da ich dieses Jahr mein Abi gemacht habe, sind mir die Inhalte des Mathe-Leistungskurses noch sehr gut in Erinnerung. Ich konnte keine nennenswerten Unterschiede zu dem Inhalt des finn. Lehrbuchs feststellen, einige Sachen vermisse ich sogar: Bei der analytischen Geometrie fehlen mir Ebenen- und Kugelgleichungen, und auch so grundlegende Integrationsmethoden wie partielle Integration, Integration durch Substitution oder Integration der Umkehrfunktion konnte ich nicht finden. Dieses Wiederholungsbuch ist natürlich sehr kompakt geschrieben, und ich weiß nicht, ob da nun wirklich alles drin steht, was in Finnland im Mathematikunterricht behandelt wird (laut Vorwort aber schon). Das deckt sich übrigens mit den Aussagen eines Halbfinnen, der in Deutschland sein Abi gemacht hat und jetzt aber hier studiert, und über Verwandte festgestellt hat, das man in Deutschland bis zum Abi im Matheunterricht viel weiter kommt als in Finnland. Auch wenn die finn. Schüler in der 9./10. Kl. also laut PISA-Studie in den Naturwissenschaften mehr drauf haben als deutsche Schüler, so wird das am Ende wieder aufgeholt. Ich werde mir demnächst noch das Buch ”Abi pitkä matematiikka” zulegen, vielleicht steht ja da mehr drin. Das Physikwiederholungsbuch (fotoni 9 – kertauskurssi) habe ich mir noch nicht genauer angeschaut, aber auch da erwarte ich nichts wirklich Neues.
Ein anderes Beispiel: Ich habe mir die Mathe-pääsykokeet der Uni Helsinki der letzten drei Jahre angeschaut, und fand die Aufgaben dort auch alle einigermaßen machbar (von ein paar Vokabularschwierigkeiten abgesehen – aber dafür habe ich ja noch ein halbes Jahr Zeit). Außerdem braucht man bei Mathe in der Regel nur drei Viertel der Punkte um reinzukommen, bei Physik manchmal sogar nur die Hälfte! Selbst Finnen sagen, dass es relativ leicht ist, in Helsinki in die naturwissenschaftliche Fakultät reinzukommen – und in manch andere Uni kommt sogar direkt, wenn man in der ylioppilastutkinto in Mathe und Physik eine 9 oder 10 hat.
Und auch das (leider) bescheidene Abschneiden Finnlands bei der internat. Mathematikolympiade spricht eine klare Sprache: Im letzten Jahr war Finnland 39., dieses Jahr sogar nur 61. von 93 Teilnehmerländern. Und die Begründung, dass Finnland ja nun dennoch ein relativ kleines Land ist, zählt nicht, denn vor Finnland waren u.a. Armenien, Albanien und Estland (Deutschland übrigens auf Plaz 15 hinter Thailand und Iran)! Das beste Einzelergebnis in der finn. Mannschaft (eine Silbermedaille!) erreichte Sebastian Dumitrescu - also auch nicht gerade ein finn. Name. Die mathematische Elite unter den Schülern ist in Finnland also verhältnismäßig klein und schwach.
Und ehrlich gesagt hab gibt es auch keine wirklich bedeutenden finn. Mathematiker oder Physiker (naja, vielleicht Gunnar Nordström oder Rolf Nevanlinna).

Lange Rede, kurzer Sinn: Die Grundschulausbildung ist in Finnland tatsächlich besser als anderswo (wobei das Bild allerdings durch den geringen Ausländeranteil verzerrt wird), aber finn. Schüler sind deshalb nicht ”klüger” als andere. Und wer interessiert sich in der Praxis eigentlich schon dafür, welche Leistungen 15jährige erbringen? Der Arbeitsmarkt vielleicht? Oder etwa die Forschungsgemeinschaft? Wohl eher nicht: Forschung wird in Unis und Instituten betrieben, da spielt also das Grundschulsystem des jeweiligen Landes so gut wie keine Rolle. Und einen potentiellen Arbeitgeber interessiet (neben der Arbeitserfahrung etc.), welchen Abschluss man als Letztes erreicht hat (Studium, Ausbildung, etc.), und nicht, was man als 15jähriger konnte. Ich denk mal, dass ich alle Zeugnisse, die ich bis zur 10. Kl. bekommen habe, inzwischen getrost wegschmeißen könnte, weil die sowieso niemand mehr irgendwann sehen wollen würde.

In der peruskoulu erfüllt der finn. ”hyvinvointivaltio” seine Aufgabe hervorragend. Alles, was darüber hinausgeht, ist meiner Meinung nach eher Mittelmaß. Aber was soll man von einem Land mit 5 Mio. Einwohnern am Rande Europas auch erwarten?
Sid
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Beitrag von Sid »

Mir bleibt die Kinnlade hängen, welch wahren Worte, Jakob!
Jakob hat geschrieben:Nicht zuletzt liegt es aber – ob man es nun wahr haben will oder nicht – sicherlich auch an dem ungewöhnlich niedrigen Ausländeranteil in Finnland. Das ist kein Rasismus (ich bin als Deutscher hier schließlich selbst Ausländer), sondern liegt in der Natur der Sache, dass man eben jene Grundfertigkeiten in seiner Muttersprache und dem dazugehörigen kulturellen Umfeld besser erlernt, als in einer Fremdsprache.
Das kam zur Sprache in dem Zusammenhang der Integration. Sprich, Lehrer stellen sich gar nich auf die Integration von Ausländern ein, sogar kulturelles Wissen ist mangelhaft. Das will Astrid Thors etwas ändern.
Jakob hat geschrieben: Und ehrlich gesagt hab gibt es auch keine wirklich bedeutenden finn. Mathematiker oder Physiker (naja, vielleicht Gunnar Nordström oder Rolf Nevanlinna).
Deutsche Naturwissenschaftler sind in finnischen Fachkreisen sehr hoch angesehen :thum (noch nicht in der 10. Klasse viellecht :lol: ).
Jakob hat geschrieben: Lange Rede, kurzer Sinn: Die Grundschulausbildung ist in Finnland tatsächlich besser als anderswo (wobei das Bild allerdings durch den geringen Ausländeranteil verzerrt wird), aber finn. Schüler sind deshalb nicht ”klüger” als andere. Und wer interessiert sich in der Praxis eigentlich schon dafür, welche Leistungen 15jährige erbringen? Der Arbeitsmarkt vielleicht? Oder etwa die Forschungsgemeinschaft? Wohl eher nicht: Forschung wird in Unis und Instituten betrieben, da spielt also das Grundschulsystem des jeweiligen Landes so gut wie keine Rolle. Und einen potentiellen Arbeitgeber interessiet (neben der Arbeitserfahrung etc.), welchen Abschluss man als Letztes erreicht hat (Studium, Ausbildung, etc.), und nicht, was man als 15jähriger konnte. Ich denk mal, dass ich alle Zeugnisse, die ich bis zur 10. Kl. bekommen habe, inzwischen getrost wegschmeißen könnte, weil die sowieso niemand mehr irgendwann sehen wollen würde.
Gerade, weil Bewerbungen im Berufsleben hier so unbürokratisch ablaufen, interessiert es eben keinen. Laut OECD ist Finnland überdurchschnittlich bzgl. der Anzahl an Hochschulabsolventen und Erwachsenenbildung usw., dennoch spiegelte die arbeitende Gesellschaft die Fertigkeiten nicht wieder.

Ausserdem, auch in OECD, hat Finnland einen der höchsten "drop-off" Raten im Studium (und zwar nicht weil es so schwer wäre, sondern weil zu leichtfertig mit der Studienwahl umgegangen wird, kostet ja nix). Ich hab heute meinen Abschluss in einem AMK-Jahresaufbausstudium - wir sind 3 geblieben.

Im Hochschulbereich sprach die letzte OECD über eine wachsende Auswahl an englischsprachigen Studienrichtungen in Finnland, dennoch bleiben die Quotas von ausländischen Studierenden gering. Wieso bloss?
Jakob hat geschrieben: In der peruskoulu erfüllt der finn. ”hyvinvointivaltio” seine Aufgabe hervorragend. Alles, was darüber hinausgeht, ist meiner Meinung nach eher Mittelmaß. Aber was soll man von einem Land mit 5 Mio. Einwohnern am Rande Europas auch erwarten?
Es ist nicht schlecht, aber Deutschland muss sich wirklich nicht verstecken.
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derdingens
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Beitrag von derdingens »

Gibt´s eigentlich eine OECD-Studie ueber die duemmsten OECD-Studien?

Ich frag mich immer, was sowas soll. Laut der Studie waren wir (= "die" deutschen Schueler) seinerzeit zu blöd, zwei und zwei zusammenzuzählen, und man hatte von Naturwissenschaften von Tuten und Blasen keine Ahnung. Und trotzdem soll es ja in all diesen Jahren Unversitätsabsolventen in diisen Fächern gegeben haben. Unglaublich.

Nachdem diise sensationellen Neuigkeiten wieder von Spiegel online ect verschwunden wird, kann man den Bericht vielleicht einfach vergessen- oder auf die kuenftigen Nobelpreisträger aus Hongkong oder Kanada warten. Oder halt nich.

Gruss, dingens
PS: Eigentlich wollte ich das komplett ignorieren, hat aber nicht so richtig geklappt :?
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Babylon
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Beitrag von Babylon »

Super Jakob!!!!

Ich werde als Reiseleiter von den deutschen Touristen immer über die PISA Studie gelöchert und mein subjektiver Eindruck (ich bin ja auch nicht in Finnland zur Schule gegangen) ist genau der gleiche wie bei Dir. Gute Grundausbildung, wenig Ausländeranteil und das war´s eigentlich. Da es keine Förderung für Hochtalentierte gibt, verhält sich alles im gebobenen Durchschnitt, aber eben Durchschnitt.

Und dann wird rumstudiert,weil die Firmen hier ja nicht ordentlich ausbilden.
Klar gibt es Berufe für die ein Studium unumgänglich ist, aber in Finnland wollen sie ja sogar von Putzhilfen am liebsten ein Ammattitutknito. Hier in Hämeenlinna kann man eine Ausbildung zur Putzhilfe machen, dauert so ein Jahr. Witz komm raus!
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fax
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Beitrag von fax »

Wie schon mehrfach gesagt wurde, messen die PISA Studien die Qualität der Grundausbildung, nicht die höhere Bildung. Die Studie zweifelt nicht die Qualität z.B. der gymnasialen Ausbildung an, derartiges wurde nicht direkt untersucht. Insofern finde ich Kritik in der Richtung verfehlt. Man kann höchstens kritisieren, dass diese Aspekte auch eine Rolle spielen sollten.

Was allerdings bei den PISA Studien immer wieder hervorkommt ist, dass es kaum ein anderes Land gibt (höchstens noch Österreich), in denen die Unterschicht so konsequent im Alter von 10-11 Jahren auf Hauptschulen abgeschoben wird. Es gibt ganz eindeutige Zahlen, dass in kaum einem anderen westlichen Land die soziale Herkunft so eine wesentliche Rolle für den zukünftigen Lebenslauf wie in Deutschland spielt.

Übrigens finde ich, dass Deutschland doch gar nicht so schlecht abgeschnitten hat. Es ist immerhin auf Platz 6 unter den europäischen Ländern.
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Micha
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Beitrag von Micha »

Sid hat geschrieben: Ausserdem, auch in OECD, hat Finnland einen der höchsten "drop-off" Raten im Studium (und zwar nicht weil es so schwer wäre, sondern weil zu leichtfertig mit der Studienwahl umgegangen wird, kostet ja nix
Ich sah das bisher eigentlich als grundlegendes Problem in Deutschland, wo ja auch Eingangsprüfungen im grossen Stil nicht stattfinden. Ich kenne sehr viele Studienwechsler nach 5 Semestern. Zu lange Studienzeiten usw., ist aber ein anderes Thema.

Zurück zur Diskussion: der niedrige Ausländeranteil in Finnland mag sicherlich eine Rolle spielen und das Ergebnis verzerren, keine Frage.
Aber was bringt denn eine anspruchsvollere Ausbildung in Deutschland (ich zitiere von oben, ich weiss nicht, ob ich das beurteilen kann), wenn sie letzten Endes nur einen Teil erreicht? Es muß doch bei der Schulausbildung in erster Linie um die ganze Schülerschaft gehen, nicht nur um die künftigen Wissenschaftler.

Wie schneiden denn Deutschland Ost gegen West ab bei Pisa/Iglu/etc.? Ich denke auch an die unterschiedlichen Ausländerquoten.
WEITERSAGEN!
- jetzt auch auf Twitter: @saksalaiset
Georg

Beitrag von Georg »

Jakob hat geschrieben: Und ehrlich gesagt hab gibt es auch keine wirklich bedeutenden finn. Mathematiker oder Physiker (naja, vielleicht Gunnar Nordström oder Rolf Nevanlinna).
OT: Und Ernst Lindelöf? Oder Lars Ahlfors - auch ein Finne? Der erhielt 1936 die erste Fields-Medaille.

Zum Thema: Es wurde ja nirgends behauptet, dass DIE Finnen an sich besonders schlau sein. Es wurde nur nachgewiesen, dass das finnische Bildungswesen an eine erheblich breitere Basis ein gewisses Grundwissen vermittelt als dies in Deutschland der Fall ist. Völlig klar ist, dass hierbei der Ausländeranteil eine erhebliche Rolle spielt. Es ist jedoch zu einfach, es auf ein Schulbuch oder den Ausländeranteil zu reduzieren. Da wirken nämlich noch solche Dinge wie der gezielte Stützunterricht für schwächere Schüler mit, das ausgedehnte Bibliothekswesen, dass das Lesevermögen fördert etc pp. Völlig klar ist auch, dass das finnische Schulsystem nicht das non plus ultra ist, aber das wird es wohl kaum geben.

Und um die höhere Bildung ist es in Finnland auch nicht so elend bestellt. Statistisch belegen kann ich das nicht, aber finnische Forschungsergebnisse, z.B. im Bereich Krebsforschung, haben oft internationales Niveau und Bedeutung. Auch in vielen andern Bereichen (z.B. Sprachwissenschaft, Entomologie, Ethnologie) publizieren finnische Wissenschaftler bedeutendes.

Diese Sache ist viel zu verwickelt, als dass man sie so einfach abtun könnte.
Zuletzt geändert von Georg am Fr Nov 30, 2007 1:37 pm, insgesamt 1-mal geändert.
Anskunen
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Beitrag von Anskunen »

Jakob hat geschrieben:
Finnland ist auch in der neuen PISA-Schulstudie mit dem Schwerpunkt Naturwissenschaften auf dem ersten Platz gelandet.
Für 15jährige, die in der peruskoulu im vorletzten oder letzten Jahr sind, mögen diese Ergebnisse stimmen. Bestimmte Grundfertigkeiten, wie Lesen, Schreiben und Beherrschen der Grundrechenoperationen, besitzt fast jeder finn. Schüler (der PISA-Test geht natürlich darüber noch etwas hinaus – aber nur etwas). Dies zeugt von einer soliden Grundausbildung und der Funktionalität des Einheitsschulkonzepts. Nicht zuletzt liegt es aber – ob man es nun wahr haben will oder nicht – sicherlich auch an dem ungewöhnlich niedrigen Ausländeranteil in Finnland. Das ist kein Rasismus (ich bin als Deutscher hier schließlich selbst Ausländer), sondern liegt in der Natur der Sache, dass man eben jene Grundfertigkeiten in seiner Muttersprache und dem dazugehörigen kulturellen Umfeld besser erlernt, als in einer Fremdsprache. In anderen Ländern gibt es somit eben einen größeren Prozentsatz, der selbst diese Grundfertigkeiten nur mangelhaft beherrscht, und den Durchschnitt entscheidend runterzieht. Schweden z.B., dessen Schulsystem dem finn. sehr ähnlich ist, rangiert nur auf Platz 22. Dort ist aber der Ausländeranteil wesentlich höher als hier. Oder gibt es andere offensichtliche Gründe für das schlechtere Abschneiden? Ich bin überzeugt, dass die Länderreihenfolge bei einem entsprechenden Vergleich in der Oberstufe (z.B. 12. Kl.) völlig anders aussehen würde, weil dann in allen Ländern der Anteil an Schülern, die selbst die Grundfertigkeiten nicht richtig beherrschen, nicht mit eingerechnet würde. Es ist zwar richtig, dass in Finnland wiederum der Prozentsatz jener, die Abi machen, höher ist als in den OECD-Ländern im Durchschnitt, aber ich bezweifle, dass das Niveau an finn. Schulen auch in der Oberstufe höher ist als beispielsweise an deutschen Schulen.
?
Ganz super, Jakob! Das habe ich mir auch schon länger gedacht, aber irgendwie selten gesagt, weil das sonst so leicht so rüberkommt, wie "Ach die Deutschen sind ja nur neidisch". Denke ich zumindest. Ich bin selber nie in Finnland zur Schule gegangen, und ich kann auch von der mathematischen Seite her wenig dazu sagen, aber dieser Eindruck entstand bei mir z.B. auch dadurch, dass ich ab und zu in einem Forum für deutsche Austauschschüler (http://www.austauschschueler.de, dann durchklicken zu Finnland) mitlesen. Dort erzählen die Leute eigentlich auch meistens, dass der Stoff leichter ist als in Deutschland, sie das, was sie dort lernen z.T. schon im Vorjahr in Deutschland gemacht haben und außer der Sprache eigentlich wenig Probleme auftreten. Zugegebenermaßen suchen sich Austauschschüler ja nicht gerade die allerschwersten Kurse raus, aber z.B. der Fremdsprachenunterricht scheint zu einem grossen Teil aus Vokabellernen zu bestehen. Das habe ich auch bei der Tochter einer finn. Bekannten bemerkt und ausserdem hat mich erstaunt, dass diese Tochter im Lukio z.B. alle möglichen Sprachen (Italienisch, Spanisch, Schwedisch - die Familie stammt aus Indien, die Kinder sind aber komplett in Finnland aufgewachsen) anfängt, die sie davor noch nicht gelernt hat, aber dann nach knapp zwei Monaten im nächsten jakso wieder ganz andere Kurse hatte. Irgendwie braucht man doch auch zumind. in der Schule kontinuierliche Übung im Fremdsprachenunterricht, oder?
Anskunen
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Beitrag von Anskunen »

Georg hat geschrieben:
Zum Thema: Es wurde ja nirgends behauptet, dass DIE Finnen an sich besonders schlau sein. Es wurde nur nachgewiesen, dass das finnische Bildungswesen an eine erheblich breitere Basis ein gewisses Grundwissen vermittelt als dies in Deutschland. Völlig klar ist, dass hierbei der Ausländeranteil eine erhebliche Rolle spielt. Es ist jedoch zu einfach, es auf ein Schulbuch oder den Ausländeranteil zu reduzieren. Da wirken nämlich noch solche Dinge wie der gezielte Stützunterricht für schwächere Schüler mit, das ausgedehnte Bibliothekswesen, dass die Lesevermögen fördert etc pp. Völlig klar ist auch, dass das finnische Schulsystem nicht das non plus ultra ist, aber das wird es wohl kaum geben.

Diese Sache ist viel zu verwickelt, als dass man sie so einfach abtun könnte.
Natürlich, ich gebe Dir recht. Das Nonplusultra gibt es nicht. Ich finde aber auch, dass finnische Schüler viel mehr Unterstützung erhalten, eben mit Förderunterricht und Bibliotheken usw. und das macht sehr viel aus. Das finde ich toll, dass Lehrer und Schüler scheinbar doch mehr zusammenarbeiten. An deutschen Schule herrscht jedoch - leider - oft genau das Gegenteil, ich kenne in meinem Bekanntenkreis kaum Leute, die nicht massive Probleme mit Lehrern, Mitschülern oder beidem gehabt haben.
Es gibt ja auch nicht sowas wie private Nachhilfe in Finnland, noch nicht mal ein Wort dafür. Wenn ich finnischen Freunden erkläre, dass ich Schülern Nachhilfe gebe, sage ich immer ich bin "tukiopettaja".
Tenhola

Beitrag von Tenhola »

Also wenn ich als Schweizer mein Land betrachte, wir liegen ein paar Plätze hinter D wundere ich mich nicht. Wir haben heute an vielen Schulen eine Klassenzusammensetzung 1/3 Schweizer 2/3 Ausländer. Es gibt aber auch Klassen da sind von 20 Schuelern 18 aus dem Balkan. Man darf diese Tatsache jedoch kaum aussprechen, ohne als Rassist zu gelten.
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Jakob
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Beitrag von Jakob »

Georg hat geschrieben:Da wirken nämlich noch solche Dinge wie der gezielte Stützunterricht für schwächere Schüler mit, das ausgedehnte Bibliothekswesen, dass das Lesevermögen fördert etc pp. Völlig klar ist auch, dass das finnische Schulsystem nicht das non plus ultra ist, aber das wird es wohl kaum geben.

Diese Sache ist viel zu verwickelt, als dass man sie so einfach abtun könnte.
Nun ja, das Bibliothekswesen ist wirklich super, da muss ich dir zustimmen - da kann man eigentlich nicht mehr verlangen. Zum Lesen: Dass im Fernsehen die Untertitel immer mitlaufen, mag sicher die Lesekompetenz fördern, aber das würde ich im Internetzeitalter, wo es noch viele andere Informations- und Unterhaltungsquellen gibt, nicht als entscheidenden Faktor ansehen.
Und "einfach abgetan" hab ich die Sache ja nun wohl wirklich nicht!

Bei Wikipedia (was jetzt nicht das non plus ultra einer Quelle ist, aber dennoch gerade verschiedene Perspektiven auf das Thema bietet) hab ich übrigens Bestätigung für meine eher empirischen Behauptungen gefunden:
Eine der erklärungsmächtigsten Hintergrundvariablen ist der Migrationshintergrund. In Deutschland besonders auffällig ist das besonders schwache Abschneiden von im Land geborenen Kindern zugewanderter Eltern (Mathematikleistung 2003: 432 Punkte, gegenüber 454 für Einwanderer der ersten Generation und 525 für Schüler ohne Migrationshintergrund; OECD-weite Vergleichszahlen 483, 475, 523). Weitere Aufschlüsselung zeigt, dass insbesondere die schwachen Leistungen türkischer Jugendlicher ein quantitativ bedeutsames Problem darstellen (Mathematikleistung 2003: zweite Generation 411, erste Generation 382).

Aus statistischer Sicht relativiert sich das gute Abschneiden Finnlands, sobald man demographische, insbesondere soziale, Hintergrundvariablen kontrolliert. Finnland ist weniger "großstadtgeprägt" als die meisten einwohnerstärkeren Staaten und hat nahezu keine Einwandererkinder.

In Finnland schneidet die etwa fünfprozentige schwedischsprachige Minderheit um 10 bis 35 Punkte schlechter ab als die finnischsprachige Mehrheit.
Sind die Finnlandschweden also wirklich "dümmer" als die finnischsprachigen Finnen, oder wo liegt der Haken?

Desweiteren:
Interpretation der Ergebnisse:
Aus systemanalytischer Sicht wird kritisiert, dass das offiziell deklarierte erkenntnisorientierte Ziel, durch zyklische Wiederholung die „leistungsmäßigen Ergebnisse von Schulsystemen“ mitzuverfolgen, von vorneherein illusorisch sei: die Testergebnisse hängen von einer Vielzahl verschiedenster Einflüsse ab, so dass ein Rückschluss auf die eine Eingangsgröße „Schulsystem“ in der Regel ein ökologischer Trugschluss ist. Beispielsweise schmilzt der Vorsprung Finnlands dahin, wenn man nur die eine zusätzliche Eingangsgröße „Migrantenanteil“ herausrechnet.
Man lese dazu auch den Artikel http://de.wikipedia.org/wiki/Auswertung ... ntergrunds.

Und auch finn. Wissenschaftler sind sich dieser Tatsachen durchaus bewusst:
http://solmu.math.helsinki.fi/2005/1/paak.pdf
http://solmu.math.helsinki.fi/2005/erik1/kivtar.pdf
Zuletzt geändert von Jakob am Fr Nov 30, 2007 8:33 pm, insgesamt 3-mal geändert.
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fax
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Beitrag von fax »

Ja, gut, und was willst du damit aussagen? Tatsache ist, dass Deutschland in den kommenden Generationen eben mehrheitlich diese Heranwachsenden hat. Wenn nicht jetzt massiv in deren Ausbildung investiert wird, sieht es in 10-20 Jahren wie in den Vororten von Paris oder Los Angeles aus.
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Pikkupossu
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Beitrag von Pikkupossu »

Wieviel von dem, was man im Abi gelernt hat, braucht man denn noch im Berufsleben?

Und wieviel von dem, was man in der Grundausbildung gelernt hat, hat man behalten nachdem man den ganzen unnützen Abikram behalten musste (zumindest bis zu den Prüfungen)?

Kreis- und Ebenengleichungen kann man auch im Studium noch lernen. Das heisst doch nicht, dass finnische Oberstufenmathematik deshalb schlechter ist. Sie mag wenig umfangreich sein - aber vielleicht wird dadurch der Stoff besser erklärt, wenn man die gleiche Zeit für weniger Inhalt hat?
Vielleicht geht einfach Qualität vor Quantität?

Meiner Meinung nach ist es wesentlich wichtiger, WIE etwas gelernt wird. Die Lernatmosphäre, die Art WIE etwas vermittelt wird. Und genau DIE habe ich in Finnland als wesentlich positiver empfunden als in Deutschland.

Ich finde es jedenfalls sinnvoller, in einer guten Atmosphäre Grundwissen richtig zu erlernen und auch zu behalten, als den Schülern in einer weniger guten Atmosphäre den Kopf mit zigtausend Sachen vollzustopfen, die man später vielleicht nie wieder braucht.
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AndiK
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Beitrag von AndiK »

Pikkupossu hat geschrieben:Kreis- und Ebenengleichungen kann man auch im Studium noch lernen. Das heisst doch nicht, dass finnische Oberstufenmathematik deshalb schlechter ist. Sie mag wenig umfangreich sein - aber vielleicht wird dadurch der Stoff besser erklärt, wenn man die gleiche Zeit für weniger Inhalt hat?
Vielleicht geht einfach Qualität vor Quantität?
Da stimme ich zu mit einer Einschränkung: Pikkupossu und ich haben in Sachsen Abi gemacht (das nehme ich zumindestens an, wenn du auch aus Leipzig kommst?!) und da wird am Ende der 12 Klasse (wir haben ja nur 12 Klassen) durchgerast mit einer Wahnsinnsgeschwindigkeit... nach dem Motto: Wir müssen alles durchnehmen, kann ja alles drankommen. Dabei lässt die Qualität zu wünschen übrig. Ich kann bei mir jedenfalls nicht behaupten, wirklich grundlegend gelernt zu haben.... aber schneller :D. In anderen Bundesländern sieht das sicher wieder anders aus.

Ich habe am finnischen Schulsystem immer die Bandbreite bewundert und das die Schüler wirklich für's Leben lernen. Ich hatte zumindestens in keinem einzigen Jahr meiner Schullaufbahn Hauswirtschaft. Das wiederum existiert in anderen Bundesländern und in anderen Schulformen. Vielleicht denken die in Sachsen, dass die Gymnasiasten das nicht brauchen :twisted: ?
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