Deutsche Minderheit

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Antje
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Deutsche Minderheit

Beitrag von Antje »

Habe gehört, dass der Europarat an hiesigen Institutionen angefragt hat, ob Interesse besteht, eine deutsche Minderheit zu einer offiziell anerkannten Minderheit zu machen. Rede ist von alteingesessenen Deutschen, die seit 3 Generationen hier leben. Leider wiess ich nichts Genaueres, kann auch auf die Schnelle nichts in google & co. finden. Habt Ihr davon gehört? Wisst Ihr mehr? Ich weiss nur, dass die dt. Gemeinde und die dt. Schule mit den Schultern gezuckt haben und dieses Thema als irrelevant und uninteressant (nicht zuständig) erachtet und ohne Diskussion abgelehnt haben.
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roelli
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Re: Deutsche Minderheit

Beitrag von roelli »

Antje hat geschrieben:Ich weiss nur, dass die dt. Gemeinde und die dt. Schule mit den Schultern gezuckt haben und dieses Thema als irrelevant und uninteressant (nicht zuständig) erachtet und ohne Diskussion abgelehnt haben.

Gerade wenn man an die Finanzierungsprobleme der DB denkt, halte ich diese Einstellung für unklug. Da gibt es doch sicherlich Geld?
http://www.saksalaiset.fi/forum/viewtopic.php?t=43
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Rosi
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Beitrag von Rosi »

Das war ja der rettende Gedanke für die Bibliothek, wenn man die Minderheit als alteingesessen anerkennt, gibts Fördermittel. Das ist übrigens nicht auf meinem Mist gewachsen, sondern hat ein Herr Professor Soundso bei einem Referat im GoetheInstitut vorgeschlagen, irgendwann im Oktober. Nur scheint die Minderheit irgendwie nicht so präsent zu sein. Könnte also schwer werden. Ich weiss auch nicht, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um als Minderheit durchzugehen, aber einen Versuch wäre es wert. Ich komme mit meinen 2 Jahren und 7 Monaten aber eher nicht in Betracht.
MfG
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Antje
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Beitrag von Antje »

Rosi hat geschrieben: Nur scheint die Minderheit irgendwie nicht so präsent zu sein. Könnte also schwer werden. Ich weiss auch nicht, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um als Minderheit durchzugehen, aber einen Versuch wäre es wert. Ich komme mit meinen 2 Jahren und 7 Monaten aber eher nicht in Betracht.
Bei einem Gespräch dazu fiel uns erstmal auf, dass die Deutschen hier eigentlich durchs nichts und niemanden vertreten sind (ausser Botschaft). Die dt. Gemeinde gehört zur finn. Kirche, der SSY ist für an D interessierte Finnen. Schade aber, dass gerade die Institutionen, die die Alteingesessenen ausfindig machen könnten (Kirche, Schule) sich nicht zuständig / interessiert fühlen. Die wissen sicher nicht mal, dass sie eine Minderheit sein könnten und was dies bedeuten würde (wie wir ja auch nicht).

Vielleicht sollte man mal über einen Interessenverein Deutscher/dt.spr. in FIN nachdenken....
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roelli
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Beitrag von roelli »

Antje hat geschrieben: Vielleicht sollte man mal über einen Interessenverein Deutscher/dt.spr. in FIN nachdenken....
In der Art!
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Wie lang sind den 3. Generationen, so ca. 60 Jahre?
Von geschichtlicher Seite betrachtet, eine ein klein wenig fragwürdige Vorraussetzung!

http://de.wikipedia.org/wiki/Finnlanddeutsche
http://www.yle.fi/silminnakija/juttu.php?tunnus=278

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Aus dem Spiegel:
SUBVENTIONEN
"Kohle ohne Ende"
Von Frank Dohmen und Hans-Jürgen Schlamp
Ob Nobel-Radweg, Spaßbad oder eine Luxus-Grillhütte: Clevere Kommunalpolitiker können in EU-Fördertöpfen aus dem Vollen schöpfen. Denn Brüssel weiß gar nicht, wohin mit all dem Geld. Nötig ist eine radikale Finanzreform.

http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,dr ... 00,00.html
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fax
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Beitrag von fax »

roelli hat geschrieben:Wie lang sind den 3. Generationen, so ca. 60 Jahre?
Üblicherweise rechnet man 25 Jahre pro Generation, Tendenz steigend, aber ist ja nicht so wichtig.
roelli hat geschrieben:Von geschichtlicher Seite betrachtet, eine ein klein wenig fragwürdige Vorraussetzung!
Ich bin heute ein bißchen begriffsstutzig, liegt hoffentlich nur an der Erkältung, aber selbst nach Studium deiner Links erschließt sich mir nicht, was daran fragwürdig ist?
Katja
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Beitrag von Katja »

Wie genau definiert sich denn eine Minderheit in der EU?

Ich habe gerade mal bei Wikipedia nachgeguckt und fand deren Definitionen und Erklärungen sehr verschwommen.

http://de.wikipedia.org/wiki/Minderheit

Das mit der Diskriminierung passt ja nicht so wirklich. Können Einzelpersonen, die es mehr oder weniger unabhängig voneinander hierher verschlagen hat, eine Minderheit bilden? Hat es grössere 'Volkswanderungen' Deutscher nach Finnland gegeben? Ich bin geschichtlich, abgesehen vom obigen link, nicht informiert.

Wenn es wirklich eine 'Volksgruppe' gibt oder gab, ist sie denn eine separate Gruppe, oder haben sich die meisten länger in Finnland lebenden Deutschen eh mit den Finnen 'vermischt'? Minderheit hat fuer mich immer so etwas 'Parallelkultur'-mässiges, in der man unter sich bleibt... Gibt es soetwas hier, ein ganz eigener deutscher Kreis? Abgesehen davon, dass es natuerlich toll wäre, Geld fuer die Deutsche Bibliothek zu bekommen, fuehlt sich der Begriff 'Deutsche Minderheit' irgendwie konstruiert an. Aber ich lebe auch erst seit knapp 2 jahren hier... Sozusagen in nullter Generation als stinknormaler Ausländer. :wink:
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fax
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Beitrag von fax »

Ach so, jetzt hat's auch bei mir geklickert. Also ob die Deutschen oder Deutschsprachigen als Minderheit im völkerrechtlichen Sinne gelten könnten, möchte ich lieber nicht bewerten. Als Minderheit im weiteren Sinne des Wortes fühle ich mich hier schon. :-)
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Antje
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Beitrag von Antje »

Katja hat geschrieben:
Wenn es wirklich eine 'Volksgruppe' gibt oder gab, ist sie denn eine separate Gruppe, oder haben sich die meisten länger in Finnland lebenden Deutschen eh mit den Finnen 'vermischt'? Minderheit hat fuer mich immer so etwas 'Parallelkultur'-mässiges, in der man unter sich bleibt... Gibt es soetwas hier, ein ganz eigener deutscher Kreis?
Von einer dt. Enklave in FIN, wie die Wolgadeutschen oder Siebenbürger in Russland und Rumänien, habe ich noch nichts gehört. Aber es muss wohl eine bedeutende Zahl Deutscher, die sich vor Zeiten hier niedergelassen haben, geben. Sonst wäre ja im EU-Rat niemand daruf gekommen, den Status nachzufragen. Sicher sind durch die Hanse Deutsche hierher gekommen. Die dt. Schule feiert 150jähriges (?) Bestehen, die dt. Gemeinde (anfangs Wohlfahrtsverein) 111 Jahre - da hat man doch eine Parallelkultur im gewissen Sinne, oder?

Leider wiess ich auch nichts Genaues. Historiker vor!
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Georg

Beitrag von Georg »

Deutschland und Finnland haben sehr alte Beziehungen seit Beginn des Mittelalters. Das früheste, die mir so aus dem Stehgreif einfällt, ist die Hanse. Aus diesen Zeiten kommen z.B. Ortsnamen wie Aavasaksa (am Torniojoki in Lappland). Wenn ich mich richtig entsinne, gibt es auch in der Nähe von Porvoo ein Örtchen Saksala oder so ähnlich.

Auch nach dem Ende der Hanse blieb der Kontakt erhalten. Die Finnen brauchten das Salz aus Deutschland,die Deutschen brauchten den finnischen Teer und in Salz eingelegten Fisch. Zudem war Deutschland im Bereich Stadtentwicklung führend, so dass auch nach Finnland "Experten" umzogen. Siehe z.B. auch das finnische Wort raastupa = Ratstube, Rathaus und pormestari = Bürgermeister.
Das führte dazu, dass 25-50% der Bürger der finnischen Städte Deutsche waren - Bürger war damals jedoch nicht gleichbedeutend mit Einwohner, sondern mit der besitzenden Schicht, die stimmberechtigt war.

Dazu trug bei, dass Deutschland, besonders nach der Reformation, DAS Land für die höhere Ausbildung war. Auch nach Gründung der ersten schwedischen (Uppsala 1477 noch vor der Reformation) und finnischen (Åbo Akademi 1640) Universität waren Auslandsstudien noch wichtig, und die richteten sich zwar nicht ausschließlich, aber zu einem erheblich Teil nach Deutschland.

Andere Länder gewannen später an Bedeutung, vor allem auch durch die Ausrichtung des jeweiligen herrschenden Landes Schweden und Russland. Die alten Kontakte nach Deutschland blieben jedoch, gerade im kulturellen Bereich bemerkenswert. Dabei ist ja zum Beispiel zu berücksichtigen, dass deutsch bis 1933/1939 die führende Sprache in der Wissenschaft war, auf der ganzen Welt, bis unser "heißgeliebter" Gröfaz das beendete.
Katja
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Beitrag von Katja »

Dass Deutschland grossen Einfluss auf die Entwicklung in Finnland hatte und es viele Handelsbeziehungen gab (und jetzt auch noch gibt, oder?), erkärt sicher, warum viele Deutsche hergesiedelt sind.

Wenn ich Menschen mit deutschen klingenden Nachnamen gefragt habe, woher ihr Name kommt, habe ich öfter gehört, dass es deutsche Vorfahren gegeben hat, aber dass das lange her ist. Agricola in Deutschland studiert, in Helsinki hat Engel gebaut... Viele Leute lernen Deutsch in der Schule. Ein munteres Hin- und Her.

Aber eine offizielle Minderheit?! Kennt Ihr Leute, die wirklich in xter Generation als Deutsche in Finnland leben? Gibt es unter Euch Leute, die hier als Deutsche geboren wurden und jetzt mit ebenfalls hier geborenen Deutschen eine 'deutsche' Beziehung/Familie haben? Puh, das hört sich jetzt schon fast politisch unkorrekt an. :?
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susku
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Beitrag von susku »

Antje hat geschrieben:Bei einem Gespräch dazu fiel uns erstmal auf, dass die Deutschen hier eigentlich durchs nichts und niemanden vertreten sind (ausser Botschaft).... der SSY ist für an D interessierte Finnen.
Also zumindest hier in JKL scheint der SSY ein Auffangbecken für ausgewanderte Deutsche zu sein. Wir haben viele Mitglieder, die schon vor Jahrzehnten hier eingewandert sind, u.a. eine Dame in den 20er Jahren... (sehr interessant!)

Aber uns Deutsche als offizielle Minderheit anzuerkennen???
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Georg

Beitrag von Georg »

Ich denke, dass die Hauptvoraussetzung für die Bildung einer Minderheit gefehlt hat, nämlich eine größere, gleichzeitige Migration, woraus sich eine geschlossene Gruppe hätte bilden können, die überlebensfähig wäre im Sinne von Erhaltung der Sprache und Kultur.
Sicherlich gibt es in Finnland einige Deutsche, die seit langer Zeit hier leben, sogar hier geboren sind und nach 50 oder gar 80 Jahren immer noch hier wohnen. Es fehlen aber einfach weitere Merkmale einer Minderheit, z.B. eine eigenständige Kultur, die sich eindeutig auch von der Kultur in Deutschland unterscheiden würde, aber relativ verbreitet unter den hier lebenden Deutschen wäre.
Die meisten Deutschen, die früher hier lebten, sind halt im Laufe der Zeit fennisiert worden. Man denke nur an Fazer und Stockmann, die beide ursprünglich aus dem deutschen Sprachraum kamen.
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Engelbert
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Deutsche Minderheit in Finnland

Beitrag von Engelbert »

Auslöser dieser Anfrage ist ein anhängiges Verfahren eines Norwegers, der als Spross einer deutsch/norwegischen Kriegsliebe entstand und durch die Problematik in den Nachkriegsjahren Ungerechtigkeien erlebt hat und nun Wiedergutgutmachung verlangt. (das ist die absolute Kurzform). In Finnland waren im 2. Weltkrieg über 200TS deutsche Soldaten stationiert. Als Waffenbrüder waren sie teilweise in finnische Familien integriert, haben geheiratet, oder auch nicht und aus diesen Verbindungen wurden Kinder gebohren. Nach dem Rückzug der Deutschen (mit verbrannter Erde, zb. wurde Rovaniemi fast dem Erdboden gleichgemacht) sind einige Frauen ihren Männern gefolgt (es gibt einige Tatsachenberichte) andere nicht. Die Kinder wuchsen in dieser wirren Nachkriegszeit auch nicht unter "finnischen" Bedingungen auf. Vieles aus dieser Zeit wurde unter den Teppich gekehrt, aber einiges auch inzwischen veröffentlicht. Es gibt auch einige dieser [b]Deutschen Minderheit[/b], die inzwischen ihre "rechte" einfordern.

Dazu ganz nebenbei, man soll sich als Deutscher in Finnland nicht wundern, wenn es 100% Akzeptanz oder Ablehnung gegenüber Deutsche gibt!

Karl Fazer war Finne und sein Vater Eduard Peter Fazer Schweizer, der nach Finnland ausgewanderte.
Katja
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Beitrag von Katja »

Jep. Die Mutter einer Bekannten entstammt einer solchen Beziehung. Sie scheint massive Probleme zu haben. Der Grossvater dieser Bekannten hat wohl einige Jahre hier mit seiner Frau und Kind gelebt, hat es dann aber nicht mehr ausgehalten und sich vom Acker gemacht.

Ich kann mir vorstellen, dass das Leben als ehemaliger deutscher Soldat in Finnland nicht besonders lustig war. Und als finnische Frau eines solchen Soldaten, der dann plötzlich verschwindet und einen mit Kind sitzten lässt, ganz bestimmt auch nicht... Ich kann mir schon vorstellen, dass diese Leute ungerecht behandelt wurden und Nachteile hatten. Und das noch zusätzlich zur privaten Tragödie. Da kann sich bestimmt ganz schön etwas zusammenstauen.
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