Mal wieder: deutsche Bildungspolitik

Freie Themenauswahl: Diskussion, Fragen und Antworten.
Antworten
Georg

Mal wieder: deutsche Bildungspolitik

Beitrag von Georg »

Hihi, sehr lustig: da schaffen es die Deutschen wegen der genialen Kulturhoheit der Länder nicht, ihre Bildungspolitik auf die Reihe zu bekommen, aber laut sagen darf man das dann nicht:
"Minister wollen Korrekturen vor Veröffentlichung
Wirbel um UN-Bericht über deutsches Schulsystem

Die deutschen Bildungsminister versuchen offenbar, Korrekturen an einem Bildungsbericht der Uno zu erreichen, bevor dieser veröffentlicht wird. Die Presseagentur dpa bestätigte mit Verweis auf Informationen aus dem Kreis der Kultusministerkonferenz einen entsprechenden Bericht der Tageszeitung "Die Welt". Demnach wollen die Minister den UN-Menschenrechtsbeauftragen Vernor Munoz mit einer gemeinsamen Stellungnahme dazu drängen, Korrekturen "von sachlichen Fehlern" und "problematischen Aussagen" an seinem Bericht über das deutsche Schulsystem vorzunehmen.
Ähnliche Ergebnisse wie in Pisa-Studie

Laut "Welt" bezeichnet Munoz in seinem Bericht das deutsche System mit der frühen Aufteilung von Zehnjährigen auf Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien als "extrem selektiv". Es diskriminiere zudem Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund. Zu ähnlichen Schlüssen war bereist die Pisa-Studie gekommen. Munoz verweist zudem darauf, dass nach mehreren internationalen Untersuchungen in keinem anderen vergleichbaren Industriestaat der Welt der Bildungserfolg eines jungen Menschen so abhängig von seiner sozialen Herkunft sei, wie in Deutschland.

Munoz hatte während seines Deutschlandbesuchs im Februar vergangenen Jahres zahlreiche Gespräche geführt und elf Schulen in Berlin, Potsdam, München, Bonn und Köln besichtigt. Der Bericht soll am 21. März offiziell vorgestellt werden. Nach Angaben der Grünen-Abgeordneten Priska Hinz soll er am 28. März im Bildungsaussschuss des Bundestages diskutiert werden.
Komplexität des Schulsystems nicht erkannt?

Bildungsministerin Annette Schavan wies den Bericht als "sachlich falsch" zurück. Munoz nehme bei einigen Kritikpunkten "nicht die Differenzierung des deutschen Schulsystems" wahr. Über andere Aussagen des Reports können man streiten, ganz sicher dürften sie aber nicht als bildungspolitische Wahrheiten gehalten werden, so die Ministerin.

Der Bericht hatte zuvor bereits auf Länderebene für Entrüstung gesorgt: "Herr Munoz hat offenbar das deutsche Bildungssystem nicht verstanden", zitiert die "Welt" einen Sprecher des nordrhein-westfälischen Kultusministeriums. Der Bericht sei für die bildungspolitische Debatte in Deutschland "völlig unbrauchbar". Kritisch hatten sich zuvor bereits Niedersachsens Kultusminister Bernd Busemann und der Wissenschaftsminister von Sachsen-Anhalt, Jan-Hendrik Olbertz, geäußert. Kernargument der kritischen Äußerungen ist, dass Munoz bei seinem knapp zehntägigen Deutschlandbesuch vor einem Jahr "die gesamte Komplexität" des deutschen Schulsystems nicht habe erkennen können."
Quelle: tagesschau.de http://www.tagesschau.de/aktuell/meldun ... AB,00.html

Weil, so schließt er messerscharf,
nicht sein kann, was nicht sein darf. (Wilhelm Busch)
Benutzeravatar
fax
Beiträge: 3661
Registriert: Do Dez 21, 2006 11:36 pm
Wohnort: Helsinki

Re: Mal wieder: deutsche Bildungspolitik

Beitrag von fax »

Georg hat geschrieben:Hihi, sehr lustig: da schaffen es die Deutschen wegen der genialen Kulturhoheit der Länder nicht, ihre Bildungspolitik auf die Reihe zu bekommen, aber laut sagen darf man das dann nicht:
Wenn du mich fragst, ist die Bildungspolitik eher ein ideologisches und daher auch finanzielles Problem als eines des Föderalstaates. Außerdem ist die herrschende Elite in Deutschland nicht daran interessiert, ein System zu ändern, das vor allem ihren Kindern nützt.

Letzte Woche habe ich einen kurzen Hinweis in einem Zeitungsartikel gelesen, dass Italien in den Pisastudien wesentlich schlechter abschneidet, aber kein Schwein sich dort dafür interessiert. So ein Pressemonopol in der Hand des ehemaligen Premierministers hat vielerlei Auswirkungen...
Benutzeravatar
Sandra
Beiträge: 629
Registriert: So Okt 22, 2006 9:31 pm
Wohnort: Vihti

Beitrag von Sandra »

Lustig, das es da heisst:
Es diskriminiere zudem Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund.
Mir als Deutsche wurde damals gesagt, ich solle gefälligst in die Sonderschule, auf einer Realschule oder etwa Gymnasium hätte eine Migränepatientin NIX zu suchen. Von den Noten her hätte es sogar noch aufs Gymnasium gereicht.
Aber die haben so eine WUNDERBARE Empfehlung geschrieben, das es mit viel Gemecker gerade auf die Hauptschule (dann mit Verspätung auf die WS und aufs BK) gereicht hat.

Man muss nicht immer Ausländer sein, um schlecht behandelt zu werden!

Und - Schavan die olle Ziege.....die interessiert sich eh auch nur fuer die Elite. Was aus Sonder-, Haupt-, Wirtschafts- und Berufschulen wird interessiert die doch eh nicht, solang die im WG und aufm Gymi alle das kriegen, was sie wollen.
Ich bin der 1999 ziemlich auf den Sack gegangen auf einer Pressekonferenz, war da mit meiner Berufschule. Hab sie gefragt, warum unser Grafik Design Lehrer plötzlich keine Zeit mehr fuer uns hat (immerhin 3 Std./Woche UND ehem. Pruefungsfach - haben sie "fallengelassen", da wie schon gesagt der Lehrer ins WG versetzt wurde!). Desweiteren, warum 33% vom Unterricht wegen Lehrer"mangel" (1 Jahr unbesetzte Stelle nachdem der Lehrer in Pension geht) ausfallen muessen und sowiso....jedenfalls wurd ich rausgeschmissen und hab ein Maulkorb verpasst bekommen. Wenigstens wars essen lecker....
Finkke
Beiträge: 48
Registriert: So Jan 28, 2007 8:41 pm
Wohnort: Vihti

Beitrag von Finkke »

Realitätsverleumdung...was nicht sein darf ist halt nicht.

Während meine wenige Jahren in Deutschland habe ich oft erfahren, daß meiner Meinung nach einfache Sachen "vollkommen unmöglich sind" oder man "sieht sich außer Stande", aber bei dicken Brocken findet man immer einen Weg da die Wille da ist. Die Wille in Deutschaland ist halt so wählerisch.

Das finnische, ursrpünglich DDR, System kann ich empfehlen. Die Entscheidung zwischen berufliche Ausbildung oder Gymnasium wird erst währen des 9. Schuljahrs getroffen.

Oft, oder am meisten, sind einfache Systeme besser als komplexe.
Katja
Beiträge: 297
Registriert: Mo Nov 27, 2006 11:10 pm

Beitrag von Katja »

... ich weiss nicht so recht, ob das dreigleisige Schulsystem wirklich als Wurzel des Uebels zu sehen ist.
Vom Prinzip her ist es doch nicht verkehrt, die Schueler in gleichstarke, homogenere Gruppen einzuteilen, oder? Sollte man nicht denken, dass das Lernen leichter fällt, wenn man nicht immer im unteren Drittel herum-murkst oder wenn man gelangweilt ist, weil die anderen immer noch nicht fertig sind?

Ich habe als Studentin Nachhilfe gegeben. Mehrere meiner Nachhilfe-Schueler waren zu der Zeit auf der Orientierungsstufe, die es damals noch in Niedersachsen gab. Ich habe damals die Erfahrung gemacht, dass die eine Hälfte meiner Kids mich nach einigen Monaten nicht mehr brauchte, weil ich ihnen geholfen habe, das aus welchen Gruenden auch immer verpasste Pensum aufzuholen und vielleicht auch manchmal helfen konnte, das Lernen zu lernen. Das waren die Kinder, die sonst halt dem Schulsystem zum Opfer gefallen wären, weil die Lehrer sich nicht genug um sie kuemmern konnten, sie vielleicht mal krank gewesen sind oder die ersten hormonellen Umstellungen einfach dazwischen gefunkt haben. Sie brauchten einfach nur jemanden, der sie wieder zurueckgebracht hat, manchmal können auch die Eltern das nicht leisten.

Die andere Hälfte hatte es einfach schwerer zu lernen. Das kommt nun mal vor. Fuer diese Kinder war die Orientierungsstufe die Hölle. Vor allen anderen in den C-Kurs sortiert zu werden, in allen anderen Fächern mit den 'Leichtlernenden' zu konkurrieren. Immer Stress, weil das Tempo der 'Mitte' angepasst werden muss. Das macht Bauchschmerzen und Kopfweh.
Und fuehrt zur Totalverweigerung. Ich hatte eine Schuelerin mit einer ganz tollen Mutter, die gehofft hat, mit den Nachhilfestunden zu erreichen, dass ihre Tochter morgens nicht mehr zu weinen braucht, wenn sie zur Schule muss. Sie sagte, dass sie wuesste, dass sie keine gute Schuelerin werden wuerde, aber sie wäre ein tolles Mädchen mit vielen sozialen Qualitäten- sie muesste nur durchhalten, bis sie endlich auf die Hauptschule könnte. Fuer dieses Mädchen war die Hauptschule eine Erlösung. Heute hat sie eine abgeschlossene Berufsausbildung im Einzelhandel, ist zweifache Mutter, aktives Mitglied ihrer Kirchengemeinde und macht den Anschein, ihr Leben besser im Griff zu haben als ich.

Dazu muss gesagt werden, dass ich aus einer ländlichen Gegend komme, in der die Haupschule nicht gleich asozial ist. Man kann auch mit Hauptschulabschluss eine Lehrstelle bekommen. Traditionell gibt es bei uns viele Handwerker. Und das sind angesehene Leute. Und ich habe viele Menschen kennengelernt, die nach der Hauptschule noch einen Realschulabschluss und teilweise sogar Abitur gemacht haben und Studieren gegangen sind.. Nur dafuer muss man motiviert werden, es muss sich lohnen, man muss Ziele vor Augen haben.

Ich habe gestern mit meiner Freundin in Deutschland telefoniert. Sie ist Klavierlehrerin. Sia hat mir erzählt, dass sie seit der ganzen Pisa Hysterie das Gefuehl hat, dass die Kinder noch viel stärker unter Druck gesetzt werden und beobachtet, wie sie teilweise völlig daran zerbrechen. Sie tun ihr direkt leid. Sie wollte von mir wissen, was bei uns in Finnland so toll wäre.

Ist es wirklich der Ganztagsunterricht? Eine finnische Bekannte sagte mir, dass ihr Sohn ab der zweiten Klasse Schluesselkind sein wird, weil es diese sogenannte Ganztagsbetreuung faktisch nach der ersten oder zweiten Klasse nicht mehr gibt.

Oder ist der Druck auf die Kinder kleiner? Gehen sie vielleicht sogar gerne zur Schule? Haben die Lehrer hier die Möglichkeit und den Willen, einem Schueler vielleicht mal 15 min extra Aufmerksamkeit zu widmen? Manchmal kann das ja schon viel bringen...

Ist es wirklich das dreigleisige System? Oder wie der Unterricht ausgefuehrt wird? Oder wie das Pensum bemessen wird? Oder wie motiviert die Lehrer sind? Oder die Lehrer gelernt haben zu lehren?

Ich bin keine Pädagogin und ich habe keine Kinder. Aber ich wuerde gerne verstehen, was in Finnland besser läuft. Denn ich werde immer wieder gefragt...
Benutzeravatar
roelli
Beiträge: 1662
Registriert: Mo Okt 02, 2006 4:07 pm
Wohnort: Uusimaa Träskända
Kontaktdaten:

Beitrag von roelli »

Bei Bild gibt es eine neue Serie, über die Rütli Schule.

http://www.bild.t-online.de/BTO/news/20 ... rie-1.html
Benutzeravatar
Micha
Beiträge: 3265
Registriert: Do Sep 28, 2006 10:14 pm
Twitter: @saksalaiset
Wohnort: Helsinki

Beitrag von Micha »

Dazu jetzt auch die gestrige Meldung: Rheinland Pfalz schafft die Hauptschulen (ein bisschen) ab.

Dort gibt es bald nur noch Gymnasien, Gesamtschulen und Realschulen. Die Schüler können zwar weiterhin einen Hauptschulabschluss machen. Aber nicht mehr auf der Hauptschule.

http://www.spiegel.de/schulspiegel/wiss ... 61,00.html
WEITERSAGEN!
- jetzt auch auf Twitter: @saksalaiset
Benutzeravatar
Micha
Beiträge: 3265
Registriert: Do Sep 28, 2006 10:14 pm
Twitter: @saksalaiset
Wohnort: Helsinki

Re: Mal wieder: deutsche Bildungspolitik

Beitrag von Micha »

In der Diskussion über den Bildungsweg von Migrationskinder berichtet der Spiegel heute, Eingebürgerte seien in NRW erfolgreicher (Hochschulabschlüsse, Selbständigkeit) als gebürtige Deutsche. Nichteingebürgerte Einwanderer dagegen stellen das Ende der Tabelle dar.

Hier der Artikel.
WEITERSAGEN!
- jetzt auch auf Twitter: @saksalaiset
Antworten