Gesundheits- und Rettungswesen in Finnland

Ideenaustausch zum Thema Leben in Finnland.
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Georg
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Re: Gesundheits- und Rettungswesen in Finnland

Beitrag von Georg »

Stefan hat geschrieben:
Georg hat geschrieben:"Pelastuslaitoksen ensimmäinen yksikkö saapuu onnettomuuspaikalle 90 % tapauksista riskialueen edellyttämässä ajassa eli I riskialueella 6 minuutissa, II riskialueella 10 minuutissa ja III riskialueella 20 minuutissa."
Ich verstehe nicht genug Finnisch um das einstufen zu können. Ist das als erstrebenswerte Zielvorgabe zu verstehen oder eine verbindliche mit Saktionen belegte Verpflichtung? Meine Information über die Eintreffzeiten stammt von dem Inhaber des RD bei dem ich gelegentlich mitfahre.
Dazu habe ich nichts relevantes gefunden, aber ich gehe mal davon aus, dass die Stadt Espoo nicht aus Langeweile oder Großzügigkeit in den letzten 5 Jahren zwei neue Wachen (Besatzung 1/5, Löschfahrzeug, RTW) gebaut hat und entsprechend mehr Personal eingestellt, um dieser Auflage nachkommen zu können.
Stefan hat geschrieben:
Zudem werden die Patienten je nach Dringlichkeit in A, B, C und D-Gruppen eingeteilt. A und B sind entsprechend der Klassifizierung der Gegend (riskialue) sofort zu versorgen. Auf dem Land wird bei entsprechender Entfernung und lebensbedrohender Erkrankung außer dem Rettungswagen auch die nächstgelegene First Responder-Einheit der Freiwilligen und ein Löschfahrzeug der Berufsfeuerwehr alamiert - alle BFler sind ausgebildete Rettungssanitäter, alle Fahrzeuge mit Defibrillator. C-Patienten sind in Ballungsräumen in 30 Minuten, D-Patienten in 60 Minuten zu versorgen.
Im Tampereen Aluepelastuslaitos ist ein Großteil der BFler AFAIK nur Sairaankuljetaja, was von den Inhalten her wenns hochkommt dem Rettungshelfer entspricht. Die, die auf den RTW fahren sind AFAIK großteilig Lähihoitaja (die eigentlich seit 1.1.08 fast nichts mehr dürfen), weniger Sairaanhoitaja und ganz wenig Ensihoitaja. Alle zum Sairaan- bzw. Ensihoitaja auszubilden ist gefordert und gewünscht, scheitert hier aber zur Zeit an Ressourcen und Geld.
Das Problem mit den First-Respondern hier (TRE Alue) ist, daß die RD-Dienstleister häufig ihre Autos in einer VPK-Wache mit stehen haben und dadurch kein wirklicher Zeitvorteil entsteht. Zumal der RTW ständig besetzt ist und die VPKler ja erstmal zur Wache kommen müssen.
In den großen Städten wird der Rettungsdienst (Krankentransport natürlich auch andere) hauptsächlich von der Feuerwehr durchgeführt. Da gibt es Einheiten auf drei unterschiedlichen Niveaus (als Beispiel Espoo):
- EL4 Lääkintäesimies. Das ist ein sehr erfahrener Rettungsassistent, der bei größeren Schadenslagen und schwierigeren Fällen, auch zusätzlich um Notarzt alarmiert wird.
- EX90 (X als Nummer der Wache) hat wenigstens einen, besser zwei Ensihoitaja an Bord.
- EX91-99 hat als perustason yksikkö schlechter ausgebildetes Personal. Wichtig für die Einschätzung in Finnland ist auch zu wissen, dass der Sani vor Ort auf ärztliche Anweisung über Funk/Virve eine ganze Reihe Medikamente verabreichen darf - aber das wirst Du wissen. Z.B. die Lyse bei Schlaganfällen.
Die First Responder spielen in Städten keine nennenswerte Rolle, außer als Reserve und per Zufall. Auf dem Land ist die Situation GANZ anders, da gibt es nämlich viel mehr Freiwillige als RTW.
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Tenhola
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Re: Gesundheits- und Rettungswesen in Finnland

Beitrag von Tenhola »

Stefan hat geschrieben:Tenhola, was das Gesundheitswesen betrifft, muß ich sagen, hätte ich das vorher gewußt, wäre ich niemals hierher gekommen.
Wie schon gesagt ich kann nur von persönlichen Erfahrungen sprechen. Ausser, dass man eben im TK manchmal länger warten muss sehe ich hier in der Behandlung keinen wesentlichen Nachteil. Die Aerzte sind ganz sicher nicht schlechter ausgebildet als in DE oder CH. Es gibt hier was private Aerzte betrifft ja hauptsächlich die Aerztezentren. Wenn man nur diese besuchen will, lohnt sich eine private Versicherung sicher, da Kela nur einen Anteil von 25% bezahlt. Man muss sich aber auch im Klaren sein, dass viele dieser Aerzte nur stundenweise dort sind und sonst im öffentlichen Gesundheitswesen arbeiten. Man hat also unter Umständen den gleichen Arzt im TK wie in der privat Klinik, nur die Kosten sind etwas anders.
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Georg
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Re: Gesundheits- und Rettungswesen in Finnland

Beitrag von Georg »

@Tenhola: Puhut asiaa, wie die Finnen so schön sagen, Du triffst des Pudels Kern.
Tenhola hat geschrieben:Die Aerzte sind ganz sicher nicht schlechter ausgebildet als in DE oder CH. Es gibt hier was private Aerzte betrifft ja hauptsächlich die Aerztezentren.
Zur Einschätzung der ärztlichen Ausbildung im Vergleich hilft vielleicht das Beispiel, dass der gute deutsche Dr.med. als einziger deutscher Doktortitel in Finnland nicht anerkannt wird. Der Doktortitel an und für sich ist ja nun auch nicht nötig, diese Tatsache berichtet aber trotzdem etwas über das Niveau der finnischen Ausbildung.
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wichtel
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Re: Gesundheits- und Rettungswesen in Finnland

Beitrag von wichtel »

Neulich hier in Voolahti - 12 km vom Krankenhaus Porvoo entfernt.

Vielleicht noch kurz der Hinweis, das ich ausgebildeter Sanitäter bin und einige Jahre als solcher ehrenamtlich in Berlin gearbeitet habe (liegt aber schon mehr als 20 Jahre zurück)

Bei einem Unfall hier auf dem Grundstück, bei dem ich anwesend war, fiel ein Mann rückwärts einen leichten Hang herunter und schlug mit dem Kopf auf einen grossen Stein.

Wir riefen sofort die Rettung an und ich machte mich daran mich um das Oper zu kümmern.
Negativ daran war, das es sich hier um einen schwedisch sprachigen Ort handelt und nicht wirklich jeder finnisch sprechen kann, in der Rufzentrale wollte man aber unbedingt das finnisch gesprochen wird.

Atemstillstand, Blut aus Nase und Ohren, was auf einen Schädelbasisbruch hinweist.
Diese Informationen haben wir an die Telefonzentrale weiter gegeben.

Ich habe dann sofort dafür Sorge getragen das alle lebenswichtigen Funktionen wieder hergestellt wurden und dann den Körper in die stabile Seitenlage gebracht, damit die Atemwege frei sind.

29 Minuten später traf das erste Rettungsfahrzeug (RTW) mit einem Sanitäter ein, der als erstes mal die Sauerstoffmaske dem Opfer anlegte.
2 Minuten (31.) danach einen Multifunktionsfahrzeug der Feuerwehr (warum auch immer).
2 Minuten (33.) danach einen Notarztwagen
und nochmals 2 Minuten (35.) später ein Mediheli.

Die Vorortversorgung hat dann gut 35 Minuten in Anspruch genommen und man hat den Patienten nicht nach Helsinki geflogen, sondern per RTW gefahren.

3 Stunden später verstarb der Patient dann im Krankenhaus in Helsinki.

Mal abgesehen davon, das es doch ein wenig zu lange gedauert hat bis das erste Fahrzeug hier war kam dann alles mit einem Mal.

Weitere Kommentare erspare ich mir, da ich ja letztendlich eh nichts mehr daran ändern kann.

Lieben Gruss aus Voolahti

Andy alias wichtel
Sid
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Re: Gesundheits- und Rettungswesen in Finnland

Beitrag von Sid »

Ha und ob ich weiss, was Georg meint. Gerade gestern mit Kollegen gesprochen: irgendwie hielt sich die Begeisterung in Grenzen :5obessed

Aber könnte der Grund nicht das liebe Geld sein? perfekt ist es wohl nirgendwo. Wo ist denn bloss der Wohlfahrtstaat hin (übrigens in der schweizer Zeitung erschien mal ein Artikel, der mit Halbwahrheiten / jedenfalls keiner Realität das finn. System lobte). Ganz böse ist es, wenn plötzlich die skandinavischen Länder meilenweit davor auf dem Ranking sind. Nicht nur auf Gesundheitssystem beschränkt:

http://www.hs.fi/english/article/Finnis ... 5236074594

(natürlich gut, dass sie das Geld nicht verplempern, aber wieso spricht man dann noch von "kostenlose Leistungen für alle". Sind sie doch nicht. Man kann doch auch Dinge beim Namen nennen, zumal Finnen es gerecht fanden, wenn die TK-Gebühr steigt (vgl. dt Rumgemecker wg. Praxisgebühr).

Stefan spricht echt hart davon :shock: , ich würde es nicht mehr machen. Hab div. Wartezeiten von 7 Stunden bis hin zu 14+2 Monaten und OP Absage - das reicht mir. Das funktioniert meiner Meinung nicht. Jedenfalls kenne ich durchaus Fälle, dass ein Herzpatient nie Notfall genug ist, um eine Ambulanz zu kriegen, sie fahren dafür von Somero-Salo (30 km?) und der Taxipreis liegt gerade unter der Selbstbeteiligungpauschale von 18e. Wohlfahrtstaat oder eine grosse Belastung für Rentner? Mal von seiner Fehldiagnose abgesehen, die alles noch schlimmer machte - kann aber überall passieren. Aber es kann durchaus auch gelingen. In der Forschung sind Finnen topp.

Priv. Versicherung lohnt sich nicht (eben darum, zu hohe Beiträge und Konditionen, Ausschluss von fast allem), es lohnt sich nur einen guten Arbeitgeber zu haben. Die versorgen dann ihre Schäfchen. Wieso hat denn bloss fast jede Firma einen Privatvertrag, wenn das öffentliche System so gut funzt. Um Geld ausgeben zu dürfen? Das spricht ja Bände.

Ich hab jedenfalls Angst, es brauchen zu müssen.
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Georg
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Re: Gesundheits- und Rettungswesen in Finnland

Beitrag von Georg »

Sicher gibt es Probleme im Rettungswesen, aber wieder einmal möchte ich drum bitten, die Gesamtheit im Auge zu behalten. Die hier vorgetragenen Einzelfälle sind traurig und sollten nicht passieren. Aber trotz allem bleiben es wie gesagt Einzelfälle, die vielleicht von etwas zu knappen Resourcen, aber nicht von prinzipiellen Fehlern im System zeugen. Es erfolgen pro Jahr 766.000 Alarmierungen / Einsätze im Rettungswesen in Finnland. Bei diesen Zahlen sind einige Fehlentscheidungen leider nicht zu vermeiden. Nicht zu vergessen die ständige Unterbesetzung der Leitstellen, die erheblichen Stress bei der sowieso schon kurzen Zeit schafft: der Sachbearbeiter muss in 60s aufgrund der telefonischen Angaben eine einigermaßen richtige Einschätzung der Lage treffen.
Es gab massive Probleme bei der Gründung des Hätäkeskuslaitos, und einige Probleme bestehen fort, z.B. die Sprachfrage in den schwedischsprachigen Gegenden.
Dann muss man bei der Alarmierungskette in Betracht ziehen, ob denn in allen Fällen die Meldung an die Leitstelle ausreichend war. Bei den hier geschilderten Fällen mit anwesendem Rettungspersonal gehe ich davon aus, dass das nicht das Problem war. Das ist trotzdem die erste Stelle, bei der leicht Mißverständnisse aufkommen können.

Wichtig zu berücksichtigen: die weiten Entfernungen und dünne Besiedlung, einfach ganz anders als in Deutschland.

Das nächste ist, dass der Mensch in der Leitstelle nicht die Alarmierungspläne macht, sondern das für die Gemeinde zuständige TK. Der Sachbearbeiter in der Leitstelle wird in der Regel entsprechend der vorgegebenen Ausrückeordnung zu einem bestimmten Alarmstichwort alarmieren. Wenn diese Vorgaben Blödsinn sind, kann der Sachbearbeiter nichts dafür.
Das nächste Thema sind die Resourcen. Man kann nicht endlos viele Rettungswagen vorhalten "just in case". Das merkt man natürlich besonders schnell auf dem Land, wo es lange dauert, bis der nächste kommt. Deswegen wird routinemäßig ein Löschfahrzeug der Feuerwehr oder eine andere entsprechend mit Sanitätsmaterial ausgerüstete Einheit mitalarmiert, so auch bei Wichtels Erlebnis.
Diese Rettungswagen machen dann auch noch Verlegungsfahrten z.B. von der Bettenabteilung des TK ins Krankenhaus. Den Patienten können sie unterwegs ja nicht einfach rauswerfen, sondern sie müssen ihn erst abliefern. Dazu 12km Anfahrt (=15min, zumindest mit größeren Fahrzeugen). Wenn dann noch das einzige Löschfahrzeug der Berufsfeuerwehr (mehr haben die in der Regel nicht auf dem Land) irgendwo gebunden ist, dann ist leider besch...eiden gelaufen. Das ist hier aber das Risko, wenn man auf dem Land lebt. Es kann nicht in jedem Dorf ein RTW stehen.

Ich denke, es handelt sich um sehr bedauerliche, aber leider sehr schwer lösbare Probleme, die in Deutschland, wenn auch in etwas anderer Form, genauso auftreten. Fehlentscheidungen der Leitstelle, die zuständigen Kräfte sind gerade wo anders gebunden, der Notruf vom Laien wurde falsch abgesetzt usw.
Und fehlende Resourcen: vor einigen Jahren standen wir in der Nähe einer süddeutschen Universitätsstadt an einer Einsatzstelle mit fünf Unfallopfern im PKW. Es kam ein einsamer RTW und kein Notarzt. Weil es Nacht war, kam auch kein Hubschrauber. Keine anderen nachrückenden Kräfte, nur wir 16 Mann von der Feuerwehr - keine Schnelleinsatzgruppe, nichts aus anderen Landkreisen. Und das mitten in Deutschland. Das Problem löste sich auf natürliche Weise. Deswegen ist trotzdem nicht das ganze System in Deutschland Müll. Man darf nicht nur die einzelnen bitteren Fälle betrachten, sondern muss die Gesamtheit im Auge behalten.
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Lumi
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Re: Gesundheits- und Rettungswesen in Finnland

Beitrag von Lumi »

Das, was mich am finnischen System stört, ist, dass man es beim besten Willen nicht als sozial bezeichnen kann. Praktisch jeder, der einen vernünftigen Arbeitsplatz hat, hat die Möglichkeit, sich in einem työterveysasema behandeln zu lassen. Umgekehrt bedeutet das aber, dass Arbeitslose, Rentner und Studenten, die es sich bestimmt nicht leisten können, auf eigene Kosten einen Privatarzt aufzusuchen, keine andere Wahl haben, als die stundenlangen Wartezeiten in Kauf zu nehmen, am Telefon drum kämpfen zu müssen einen Termin zu bekommen usw.
Sid
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Re: Gesundheits- und Rettungswesen in Finnland

Beitrag von Sid »

Georg hat geschrieben:Aber trotz allem bleiben es wie gesagt Einzelfälle, die vielleicht von etwas zu knappen Resourcen, aber nicht von prinzipiellen Fehlern im System zeugen.
Kann jetzt nicht alles durchlesen, aber zum Thema "Einzel"fall: jeder hat nur ein Leben, und will mit einem solchen "Einzel"fall, weil im Sommer die Hälfte des Dienstes noch weiter runtergefahren ist und für kein Ersatz gesorgt wird (Grund: bekannt - dünn besiedeltes Land usw) sein Leben nicht aufs Spiel setzen. Wo unterscheidet sich ein halb dicht gemachter Rettungsdienst mit unterlassenen Hilfeleistung?
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Georg
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Re: Gesundheits- und Rettungswesen in Finnland

Beitrag von Georg »

Was heisst nicht gemacht, wenn man es nicht machen kann? Es ist nicht zu bezahlen. Das ist eben das Restrisiko, das es hier in Finnland gibt.
Völlige Sicherheit gibt es nicht, auch nicht in Deutschland. Auch deswegen, weil Menschen diese Sicherheit gewährleisten. Menschen machen aber Fehler, gerade wenn sie unter psychischem Druck und Zeitdruck stehen, wie das in solchen Situationen der Fall ist, selbst bei Profis, und egal wie gut geschult das Personal ist. Ist zwar extrem bitter für die betroffenen, kann man aber nicht verhindern, nur versuchen zu minimieren.
Sid
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Re: Gesundheits- und Rettungswesen in Finnland

Beitrag von Sid »

Georg hat geschrieben:Die hier vorgetragenen Einzelfälle sind traurig und sollten nicht passieren. Aber trotz allem bleiben es wie gesagt Einzelfälle, die vielleicht von etwas zu knappen Resourcen, aber nicht von prinzipiellen Fehlern im System zeugen.
Ich gebe zu, es könnte noch schlimmer sein. Und es ist durchaus vertretbar, wieso es nicht geht. Aber wir sprechen ganz sicher von prinzipiellen Fehlern im System, denn nun eilt man mit der Gesamterneuerung dieses Systems für bereits 2010. Also sehen es sogar die Politiker.

Was ich mich frage, wieso spielt Schweden in dieser Hinsicht Finnland immer ins Abseits? Wieso hauen gut (und für finn. Steuergelder) ausgebildete Krankenschwestern und Ärzte nach Schweden ab und scheinen dort nicht nur aus der finanziellen Sicht deutlich zufriedener zu sein? Das kann man doch nicht alles verneinen. Dann macht man eben das, wie Lumi treffend sagte und muss damit leben:
Lumi hat geschrieben:Das, was mich am finnischen System stört, ist, dass man es beim besten Willen nicht als sozial bezeichnen kann. Praktisch jeder, der einen vernünftigen Arbeitsplatz hat, hat die Möglichkeit, sich in einem työterveysasema behandeln zu lassen. Umgekehrt bedeutet das aber, dass Arbeitslose, Rentner und Studenten, die es sich bestimmt nicht leisten können, auf eigene Kosten einen Privatarzt aufzusuchen, keine andere Wahl haben, als die stundenlangen Wartezeiten in Kauf zu nehmen, am Telefon drum kämpfen zu müssen einen Termin zu bekommen usw.
Was mich wundert: Finnen schwärmen meistens und sind stolz auf so ziemlich alles,was sie haben. Leider hab ich noch niemanden getroffen, der mir sagen würde "ich bin so zufrieden mit TK". Meistens sind es (zumindest insgeheim) Jammerarien (Statistiken sehen dann ganz anders aus).

Lassen wir uns mal von den 2010 Ideen überraschen.

Ich hoffe auch noch dann es nicht brauchen zu müssen und bin mit 65+ hoffentlich auch nicht hier. Wie moralisch ist der Ansatz, Ü65-jährige aus einer privaten Krankenversicherung zu schmeissen (bzw. früher) wenn der "Betrag" aufgebraucht ist? Ich kann es nicht nachvollziehen - es ist diskriminierend zumal der maximal Betrag nicht das Gelbe vom Ei ist... Wenn man Geld dazu hat, dort einzuzahlen, ist man genauso Mensch, der Vorsorgen möchte, wie jüngere auch.

Das Verhältnis der Investitionen aller sozialen Leistungen zum GDP wurde in dem o.g. Artikel aufgezeigt. Es ist schon klar, dass in Finnland das Geld fehlt.

Und wir wissen immer noch, dass es in D in dieser Hinsicht bergab ging und geht. Ich kann's nicht verstehen, dass jede Kritik automatisch in diesem Forum heissen sollte, man würde sich ausgerechnet nach dem D System sehnen :? Perfect world gibt es nirgendwo, aber in einem Land, das immer Toppositionen erreicht, ob Forschung, Bildung, Wachstum, Wirtschaft, Innovation, und in dieser Hinsicht predigt ein "hyvinvointivaltio zu sein", aber nur ein Minimum bietet und kurzsichtig bei Vorsorge ist. Das macht mir Angst. Nur Angst.
Sid
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Re: Gesundheits- und Rettungswesen in Finnland

Beitrag von Sid »

wichtel hat geschrieben: 29 Minuten später traf das erste Rettungsfahrzeug (RTW) mit einem Sanitäter ein, der als erstes mal die Sauerstoffmaske dem Opfer anlegte.
2 Minuten (31.) danach einen Multifunktionsfahrzeug der Feuerwehr (warum auch immer).
2 Minuten (33.) danach einen Notarztwagen
und nochmals 2 Minuten (35.) später ein Mediheli.

(...)

Mal abgesehen davon, das es doch ein wenig zu lange gedauert hat bis das erste Fahrzeug hier war kam dann alles mit einem Mal.

Weitere Kommentare erspare ich mir, da ich ja letztendlich eh nichts mehr daran ändern kann.
Wichtel, erst wollte ich fragen, da Du so genau die Zeit berichtet hast, sollte es heissen, es war schnell oder langsam (bin ich schon so gestört?). Jetzt hab ich es gesehen - es war lang. :( Wir wohnen vom KH um die Ecke...

Ich nehme an, dass der Anruf innerh. von zweisprachigen (mit einer beträchtlich grossen schwedischsprachigen Minderheit) Städtchen Porvoo geschah?

Dann was zum Teufel heisst :
wichtel hat geschrieben: Negativ daran war, das es sich hier um einen schwedisch sprachigen Ort handelt und nicht wirklich jeder finnisch sprechen kann, in der Rufzentrale wollte man aber unbedingt das finnisch gesprochen wird.
Arrrrgh!!!!!!!!!!!!
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Georg
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Re: Gesundheits- und Rettungswesen in Finnland

Beitrag von Georg »

Sid hat geschrieben:
Georg hat geschrieben:Die hier vorgetragenen Einzelfälle sind traurig und sollten nicht passieren. Aber trotz allem bleiben es wie gesagt Einzelfälle, die vielleicht von etwas zu knappen Resourcen, aber nicht von prinzipiellen Fehlern im System zeugen.
Ich gebe zu, es könnte noch schlimmer sein. Und es ist durchaus vertretbar, wieso es nicht geht. Aber wir sprechen ganz sicher von prinzipiellen Fehlern im System, denn nun eilt man mit der Gesamterneuerung dieses Systems für bereits 2010. Also sehen es sogar die Politiker.
Jetzt vergleichen wir hier Äpfel mit Birnen. Meine Aussagen bezogen sich auf das Rettungswesen, NICHT auf das Gesundheitswesen.
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Catl
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Re: Gesundheits- und Rettungswesen in Finnland

Beitrag von Catl »

Sid hat geschrieben:Was ich mich frage, wieso spielt Schweden in dieser Hinsicht Finnland immer ins Abseits? Wieso hauen gut (und für finn. Steuergelder) ausgebildete Krankenschwestern und Ärzte nach Schweden ab und scheinen dort nicht nur aus der finanziellen Sicht deutlich zufriedener zu sein?
Ist das Gesundheitssystem in Schweden denn so viel besser? Ich kann nur mit Norwegen vergleichen (und D natürlich :wink: ) und dort ist mir aufgefallen, dass die medizinische Versorgung (wider Erwarten) auch nicht unbedingt die beste war - in abgelegenen Gebieten verständlich, aber eben auch in Städten. Es gab (zumindest damals) zu wenig Ärzte (hängt sicher auch damit zusammen, dass ein Arzt dort nicht unbedingt als "Halbgott in Weiss" gilt, wie in D oft), viele kamen aus D. Patienten mussten jahrelang auf Operationen warten und es wurden deshalb sogar Verträge mit norddeutschen Krankenhäusern geschlossen. Und das bei einem - zumindest in den letzten Jahrzehnten - reichen Land. Daher dachte ich, das wäre ein fennoskandisches Problem (wobei ich damit nicht sagen will, dass das deutsche System das Gelbe vom Ei ist). Wenn das Gesundheitssystem in Schweden besser ist, woran könnte das dann liegen? Mehr Geld allein bringt sicher auch nicht die Lösung...
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Re: Was sage ich bei Notfällen (Krankenhaus, Terveysasema etc.)?

Beitrag von Sid »

Stefan hat geschrieben:Und jemanden mit Schlaganfallsymptomatik an der 112 zu sagen, er soll am nächsten Tag ins TK gehen anstatt den Rettungsdienst zu schicken fällt für mich schon eindeutig unter strafbare unterlassene Hilfeleistung - zumindest nach Deutschen Maßstäben.
...und zumindest nach gesundem Menschenverstand. :shock: :shock: :shock: Waaaaaaaaaaaaas? Habe selbt in der Familie Fälle, den mit sofortiger Hilfe das Leben gerettet wurde, sogar in D :roll:

Ich hab mal in dem von Georg angedeuteten Thread von dem Fall einer Behinderung einer jungen Frau, weil die Polizei auf Hinweis der Nachbarn in die Wohnung gegangen ist und diagnostizierte, sie sei besoffen (war ein Schlaganfall, mit 32 wenn ich mich nicht irre). Noch so ein Einzelfall. In der Sendung wurde die ganze Problematik der Behandlung von Schlaganfall besprochen - von Fachleuten. Höchst interessant. Ich weiss nicht, ob ohne Grund :?
Tenhola hat geschrieben:Man könnte nach Deinen Aussagen wirklich das Grausen bekommen und das Land so schnell wie möglich verlassen. Man fuehlt sich ins Mittelalter versetzt.
Ich weiss Tenhola, dass Du weisst wovon Du redest. Die Unterschiede Uniklinik und Dorf-TK können gross sein.

Mit dem Mittelalter muss ich leider sagen, dass im Einzelfall meiner Freundin, die nun ein Steifes Bein nach misslungenen Fehl-OPs hat (Unfall auf ungestreutem Firmenparkplatz), selbst als Finnin von Tööllön sairaala sagte, als ich sie besuchen ging "This must have been a cool place: sometimes in the 60s". Es war marode und Privatpatienten lagen im 6er Zimmer :shock: Selbst Eiran war sehr veraltert ausgestattet und nicht unbedingt sauber (haben aber einen guten Job gemacht - das zählt).
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wichtel
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Re: Gesundheits- und Rettungswesen in Finnland

Beitrag von wichtel »

Sid hat geschrieben:
wichtel hat geschrieben: Ich nehme an, dass der Anruf innerh. von zweisprachigen (mit einer beträchtlich grossen schwedischsprachigen Minderheit) Städtchen Porvoo geschah?
In Voolahti halt und der Verletzte konnte zum Beispiel gar kein finnisch, obwohl er hier aufgewachsen ist aber man spricht in unserem Örtchen eben nur schwedisch, zum Glück war noch jemand dabei, der perfekt finnisch konnte.
Und von einer Rettungszentrale erwarte ich halt das man wenn hier zweisprachige Gegenden existieren auch das Personal dementsprechend ausgebildet ist.

Lieben Gruss aus Voolahti

Andy alias wichtel
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