Stefan Moster und der Finlandia-Preis

Freie Themenauswahl: Diskussion, Fragen und Antworten.
Antworten
Georg

Stefan Moster und der Finlandia-Preis

Beitrag von Georg »

Vor anderthalb Wochen stand es schon im Husis, aber gestern wurde es dem breiten finnischsprachigen Publikum im Hesari mitgeteilt. Wagt es doch in der Tat so ein daher gelaufener Ausländer, dem finnischen Roman mangelnde Intellektualität vorzuwerfen. ("Suomalaisesta romaanista puuttuu äly ja yhteiskuntakritiikki" http://www.hs.fi/digilehti/kulttuuri/ar ... 5223499195). Da wird auf unseren Landsmann Stefan Moster ja eine schöne Lawine zu rollen.

Mir steht es nicht zu in der eigentlichen Sache Stellung zu nehmen, dafür lese ich zu wenig Belletristik und zu viel Sachliteratur. Interessant ist aber die Heftigkeit der Reaktion. Bereits in seinem Artikel - nicht im Kommentar - setzt der Hesari Mosters Kritik gleich etwas herab (Vihdoinkin joku uskaltaa sanoa äneen sen [...] ja tietysti on totuudentorvena maahanmuuttaja = endlich wagt es jemand, es laut auszusprechen [...] und natürlich ist der Verkünder der Wahrheit ein Ausländer). Da wird auch schon von einer Verschwörung der Schwedischsprachigen gesprochen (letztes Jahr hat auch ein solcher gewonnen), Mosters Finnischkenntnisse werden geringschätzig beurteilt (er ist ja auch nur Übersetzer) usw.

Ist es klug als Ausländer so etwas zu sagen? Und hat er recht, oder ist das nur eine persönliche Ansichtssache?

Man darf gespannt sein, was da noch kommt. Das Hauptereignis auch auf Englisch, aber ohne Moster: http://www.hs.fi/english/article/Finlan ... 5223537694
Nordlicht

Re: Stefan Moster und der Finlandia-Preis

Beitrag von Nordlicht »

Die Wellen haben sich zwar rasch wieder gelegt, aber die Reaktionen auf die Äußerungen von Stefan Moster waren symptomatisch.

Als Übersetzer ist Moster schon von Berufs wegen kompetent genug um seine Meinung kund zu tun. Ein daher gelaufener Ausländer kann er ja nicht sein wenn man ihn in den Preisverleihungsrat berufen hat. Mit seinem Background hat Moster sehr wohl gewusst, dass er mit seinen Ansichten in ein Wespennest sticht.

Ist es klug als Ausländer so etwas zu sagen? Ich würde die Frage umkehren. Soll jemand der bestens in die finnische Gesellschaft integriert ist sich in Enthaltsamkeit üben nur weil er Ausländer ist? Ich meine, ein Mitrederecht sollte zur Genüge begründet sein wenn ein/e Ausländer/in mehrere Jahre hier gelebt hat und darüber hinaus (Fach)kompetenz besitzt.

Erklärungsbedarf häuft sich da schon eher bei den finnischsprachigen Medien an, im Besonderen bei Helsingin Sanomat, welche - wie Georg festhält - schon im Artikel andeutungsweise die Kompetenz Mosters hinterfragt. HS hat eine ungeheure Macht. Bevölkerung, Wirtschaft und Kultur sind in Südfinnland konzentriert, und diese Zeitung beherrscht die Printmedienszene weit über die Hauptstadtregion hinaus fast konkurrenzlos. Hat nicht die EU-Kommission wegen dieser Art von Machtballung Finnland schon gerügt? HS gibt sich gerne liberal. Bei täglicher Lektüre merkt man allmählich, dass das Blatt ein außenparlamentarischer Machtfaktor ist, der in Politik und Gesellschaft kräftig mitmischt.
Benutzeravatar
roelli
Beiträge: 1662
Registriert: Mo Okt 02, 2006 4:07 pm
Wohnort: Uusimaa Träskända
Kontaktdaten:

Beitrag von roelli »

Kuuntele Ykkösaamun juttuja:

13.12.2006 klo 09:43
Onko suomalainen kirjallisuus tylsää?

http://lotta.yle.fi/radiouut.nsf/sivut/ ... 757180B63A
Benutzeravatar
Antje
Beiträge: 846
Registriert: Mi Okt 04, 2006 5:35 pm
Wohnort: Turku

Beitrag von Antje »

Gibtes dazu vielleicht auch was auf dt./engl? Habe schon mal gegoogelt aber nichts gefunden. Schafft es der Finlandia Preis auch über die Ländergrenzen in die dt./engl. Literaturpresse?

Ich stimme im übrigen Nordlicht zu, dass ein Ausländer auch etwas zum Land zu sagen haben darf und es sagen dürfen muss! Die Aussensicht (obwohl in Finnland lebend) sollte da doch eher von Vorteil sein!
Home is where the heart is.
Georg

Beitrag von Georg »

Um Mißverständnissen vorzubeugen: ich bin durchaus auch der Ansicht, dass Ausländer im Allgemeinen und Moster im Speziellen seine Meinung Kund tun darf. Moster ist ja nicht umsonst zum Vorsitzenden dieses Komitees ernannt worden. Ich wollte eine etwas provozierende Frage in den Raum stellen.
Eine andere Sache als das Dürfen ist dann noch, ob es klug ist, so etwas zu tun und auf welche Art, wobei Moster sicher wusste, was er sagte.

Da der Finlandia-Preis ausschließlich für Literatur aus Finnland vergeben wird, ist es kein Wunder, wenn im Ausland wenig darüber berichtet wird.
Nordlicht

Klug oder unklug?

Beitrag von Nordlicht »

Ob klug oder unklug kann nicht Moster’s Problem sein. Wäre es eines, so würde sich unweigerlich die Frage nach unliebsamen Folgen aufdrängen. Das ist doch wohl nicht der Fall.

Kann es ein Problem des angesprochenen Publikums sein? Ja, sehr wohl. Man möchte auf der einen Seite weltoffen sein und beruft einen ausgewiesenen Ausländer ins Komitee. Nun äußert sich dieser eben so weltoffen, dass er den finnischen Roman in einen die Grenzen des Landes sprengenden Kontext stellt. Und dann ein Schrei der Empörung. Nicht etwa was gesagt wurde, sondern wer es gesagt hat, dominiert fortan die öffentliche Debatte.

Ich hoffe, Moster hat mit seiner Meinungsäußerung ein paar Denkanstöße gemacht. Damit man wirklich etwas weltoffener wird. Das wäre auch ein kluger Zug.
Benutzeravatar
Antje
Beiträge: 846
Registriert: Mi Okt 04, 2006 5:35 pm
Wohnort: Turku

Beitrag von Antje »

"Georg"Um Mißverständnissen vorzubeugen: ich bin durchaus auch der Ansicht, dass Ausländer im Allgemeinen und Moster im Speziellen seine Meinung Kund tun darf. Moster ist ja nicht umsonst zum Vorsitzenden dieses Komitees ernannt worden. Ich wollte eine etwas provozierende Frage in den Raum stellen.
So hatte ich Dich auch verstanden.
Eine andere Sache als das Dürfen ist dann noch, ob es klug ist, so etwas zu tun und auf welche Art, wobei Moster sicher wusste, was er sagte.
Du meinst, als öffentliche Person sollte man sich zurückzunehmen wissen? Wie Politiker? (http://www.n24.de/politik/article.php?a ... erId=89081). Während Herrn Beck das sicher in Rage herausgerutscht ist bzw. ein frustrierter Ausbruch dessen ist, was er tatsächlich denkt, stimme ich Dir, Georg, zu, dass Herr Moster weiss was er sagt und das nicht im Eifer des Gefechts (gabs eins?) sagte.

Ich wünschte ich könnte den finn. Text lesen! Der Mann wird ja nicht mit knirschenden Zähnen aus dem Finnischen übersetzen sondern mit Freude - also wird er Finnland auch nicht verunglimpfen wollen.
Da der Finlandia-Preis ausschließlich für Literatur aus Finnland vergeben wird, ist es kein Wunder, wenn im Ausland wenig darüber berichtet wird.
Ich dachte, weil er Deutscher und Übersetzer ist, kennt man ihn vielleicht auch in D, gerade weil ja die finn. Literatur auf dem dt. Buchmarkt gerade boomt. Aber Übersetzer stehen ja nicht so im Rampenlicht...

Ein gutes Beispiel dafür, dass nicht nur das Gesagte von Belang ist, sondern auch wie und von wem es gesagt wird (Nordlicht!). Die Presse scheint nun auf letzteres abzuzielen um von der eigentlichen Sache abzulenken, nämlich einer Kritik am Lande...
Home is where the heart is.
Georg

Beitrag von Georg »

Antje hat geschrieben: Du meinst, als öffentliche Person sollte man sich zurückzunehmen wissen? Wie Politiker?
So in etwa; man sollte als öffentliche Person abschätzen, ob man mit seiner Meinungsäußerung der Sache, die man erreichen will, einen Dienst erweist oder ihr eher schadet.
Ich gehe davon aus, das Stefan Moster diese Äußerungen nicht einfach so herausgerutscht sind; er hat die Aussagen sinngemäß dann ja auch im Gespräch mit Husis und Hesari wiederholt.
Benutzeravatar
Antje
Beiträge: 846
Registriert: Mi Okt 04, 2006 5:35 pm
Wohnort: Turku

Beitrag von Antje »

Georg hat geschrieben:man sollte als öffentliche Person abschätzen, ob man mit seiner Meinungsäußerung der Sache, die man erreichen will, einen Dienst erweist oder ihr eher schadet.
Wird aus dem Gesagtem deutlich, welche bzw. ob Stefan Moster eine "Sache" erreichen wollte? Gibt es andere, einheimlische Kritik zur Literatursprache Finnisch? Wird das überhaupt diskutiert? Oder schweigt man aus Stolz und der Vergangenheit wegen über das Ganze (daher wäre ja auch die heftige Reaktion zu verstehen).
Home is where the heart is.
Georg

Beitrag von Georg »

Huch huch, Du stellst Fragen. Da muss ich ganz tief in der Wissenskiste graben, ohne richtig fündig zu werden.

Prinzipiell würde ich sagen, dass Finnisch eine für Literatur wunderbar geeignete Sprache ist, da sie einen sehr großen Wortschatz hat und auch viele poetische und lautmalerische Ausdrücke kennt.

Die Diskussion zu einheimischer Literatur verfolge ich, wenn überhaupt, vor allem anhand der Literaturkritiken in den Tageszeitungen. Da werden überwiegend Werke positiv besprochen. Das mag aber wohl daran liegen, dass insgesamt wenige Werke besprochen werden - immer nur sonntags.

In den Hauptwerken zur Literaturgeschichte, vor allem Kai Laitinen, wird das schon auch kritisch beleuchtet. Prinzipiell ist das natürlich auch eine Frage dessen, was man denn lesen will. Da die Finnen nun - so sehe ich das zumindest - eher etwas nüchterne, sachliche Leute sind, lesen sie vielleicht auch lieber solche Literatur.

Zu Stefan Mosters Absicht kann man aufgrund des Artikels im Hesari leider gar nichts sagen. Man kann nur spekulieren, dass er hoffte, aus dieser für ihn einmaligen Position eine Diskussion und dadurch eine Weiterentwicklung der finnischen Literatur auslösen zu können.
Benutzeravatar
Antje
Beiträge: 846
Registriert: Mi Okt 04, 2006 5:35 pm
Wohnort: Turku

Beitrag von Antje »

Georg hat geschrieben:
Prinzipiell würde ich sagen, dass Finnisch eine für Literatur wunderbar geeignete Sprache ist, da sie einen sehr großen Wortschatz hat und auch viele poetische und lautmalerische Ausdrücke kennt.
Das habe ich auch schon von anderen einschlägig belesenen Nichfinnen gehört. Ich wünschte, ich könnte es selbst erfahren!
Da die Finnen nun - so sehe ich das zumindest - eher etwas nüchterne, sachliche Leute sind, lesen sie vielleicht auch lieber solche Literatur.

Man kann nur spekulieren, dass er hoffte, aus dieser für ihn einmaligen Position eine Diskussion und dadurch eine Weiterentwicklung der finnischen Literatur auslösen zu können.
Machen sie dann von der poetischen Sprache weniger Gebrauch, wenn sie eher Nüchternes schreiben? Jetzt ist meine Neugier aber geweckt, wie sieht es z.B. um modere Genres aus, Romanformen, Formexperimente...

Keine Panik, musst Du nicht beantworten, Georg! Leider sehe ich es als eher unwahrscheinlich an, dass ich jemals ein Buch auf Finnisch lesen kann, aber dann müssen mehr Übersetzungen her. Davon kann ich dann leider nicht die Sprache beurteilen, aber wenigstens mal sehen, was im zeitgenösischen finn. Roman so los ist!
Weiss jemand mehr darüber?

Herr Moster scheint ja übrigens demnach zu glauben, dass der finn. Roman weiterentwickelt werden sollte. Weltoffener, experimentierfreudiger? Ich frage mich, was Mosters "Agenda" ist, bzw. woran er vergleicht.
Home is where the heart is.
Georg

Beitrag von Georg »

Ein Hinweis für alle, die sich mit aktueller finnischer Literatur befassen wollen, aber nicht gut genug finnisch können: in der Zeitschrift "Books from Finland" werden neue Bücher vorgestellt mit übersetzten Auszügen.
Die Zeitschrift ist teilweise im Internet zu lesen: http://dbgw.finlit.fi/fili/bff/index.html. Allerdings werden nicht alle Artikel ins Internet gestellt. Ein Inhaltsverzeichnis gibt's.
Antworten