Patriotismus

Ideenaustausch zum Thema Leben in Finnland.
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blaugrau
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Beitrag von blaugrau »

Emma hat geschrieben:Ich vermute, dass etwa einem Deutschen das offensive Betonen der Länderbezeichnung in der Werbung aus historischen Gründen eher aufstößt (à la "Hier gibt es gutes deutsches Brot") als das bei einem Finnen der Fall ist (siehe "erittäin hieno suomalainen tervashampoo").
also mir stößt es nix auf, wenn ich in Ö vor dem Fernseher lautstark höre, wie Billa und Spar ihre "österreichischen Tomaten" oder was weiss ich bewerben, und das tun sie, ohne damit Bio zu meinen (das ist ja dann eher "Ja natürlich"). Ausserdem wird auch bei anderen Produkten, sofern in Ö produziert, die Herkunft hervorgestrichen, zB bei den Chrysler-Auto's die teilweise in Graz gebaut wurden, war immer ein "Made in Austria" (oder war's "made in Styria", ich weiss es nicht mehr, eines von beiden) neben dem Wort "Chrysler" am Auto drauf. Ich glaub, dass es in Finnland noch mehr "Eigenbau" gibt als in Österreich.

Wie gesagt, ich glaub einfach, dass einem solche Sachen eben erst und vor allem im Ausland auffallen, durch die allgemeine Neuheit und die Sensibilität für die neue Umgebung etc. während man daheim, im gewohnten Umfeld und in der gewohnten Sprache einfach nicht diese Sensibilität hat. Und unsereiner ertappt sich beim kollektiven schlechten Gewissen was die Vergangenheit angeht, vielleicht eher im Ausland und fühlt sich dann sogar ein bissi besser, weil einem dort der "falsche" Patriotismus viel ärger vorkommt...

(bitte wieder nicht persönlich nehmen, ich nehm mich bei sowas ja selbst gar nicht aus)
Sid
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Beitrag von Sid »

Mir ist ehrlich gesagt der Lebensmittelpatriotismus (dazu gab es ein eigenes Thema) aufgefallen, wenn sich Finnen ungeniert abwertend über Produkte aus dem Ausland äusserten, ohne sie zu kennen oder je probiert zu haben. Auch kam es vor, dass sie Ablehnung gegen einheimische Firmen geäussert haben, die mir nix dir nix ihre Produktion ins Ausland verlagerten (Turun Sinappi, Jyväshyvä, HK). Und es werden sicher mehr. Auch hier geht es um billige Arbeitskraft. Immer mehr Nachrichten über Werkschliessungen und "Partner" in neuen EU-Ländern.
Georg

Beitrag von Georg »

Da vergleichst Du jetzt Äpfel mit Birnen, Sid. Das erste ist in der Tat seltsam, und da habe ich auch schon öfters Finnen gesagt, dass ich da ja schon lange tot sein müsste, wenn das so wäre, dass die finnischen Produkte soooo viel sauberer wären als alle anderen Lebensmittel in der Welt.

Das andere finde ich völlig in Ordnung, dass sie lieber die Produkte von hier kaufen, wo sie (einigermassen) wissen, was drin ist, und dann ärgerlich werden, wenn diese Produkte im Ausland hergestellt werden und damit auch wieder Arbeitsplätze flöten gehen.

Abteilung zum Lachen: mir sagte im allerbittersten Ernst unsere damalige Neuvolatante in Tammisaari, natürlich schwedischsprachig, dass wir das Leitungswasser in Deutschland unbedingt abkochen müssen, bevor wir es unserem Erstgeborenen bei seiner ersten Deutschlandreise geben könnten. Weil's so anders sei, so ihre Begründung.
Swabian
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Beitrag von Swabian »

sind wir (Deutsche in Finnland) nicht auch ein kleines bißchen stolz auf
das "made in Germany" ?
Nordlicht

Beitrag von Nordlicht »

Georg hat geschrieben:Abteilung zum Lachen: mir sagte im allerbittersten Ernst unsere damalige Neuvolatante in Tammisaari, natürlich schwedischsprachig, dass wir das Leitungswasser in Deutschland unbedingt abkochen müssen, bevor wir es unserem Erstgeborenen bei seiner ersten Deutschlandreise geben könnten. Weil's so anders sei, so ihre Begründung.
Hat mir unlängst Einer mit seinem Kenntnisbestand aus CH gesagt, ich dürfe auf keinen Fall Pilze aus der finnischen Natur essen, da diese immer noch hochgradig vom Tschernobyl-Ausfall kontaminiert seien. Hab ich mit dem Kenntnisbestand aus FI in den Wind geschlagen: Bin ich halt ne wandelnde Strontium- und Caesiumbombe, mir ists wurscht.

Kurz darauf kam meine Cousine und machte mich mit ihrem Kenntnisbestand aus CH bekannt: Elektrosmog, Feinstaub, genmanipulierte Pollen, Hormone im Trinkwasser. War fast froh als sie wieder gegangen war. :D
Friedward

Beitrag von Friedward »

Abteilung strahlendes Lachen
Nordlicht hat geschrieben:
Georg hat geschrieben:Abteilung zum Lachen: mir sagte im allerbittersten Ernst unsere damalige Neuvolatante in Tammisaari, natürlich schwedischsprachig, dass wir das Leitungswasser in Deutschland unbedingt abkochen müssen, bevor wir es unserem Erstgeborenen bei seiner ersten Deutschlandreise geben könnten. Weil's so anders sei, so ihre Begründung.
Hat mir unlängst Einer mit seinem Kenntnisbestand aus CH gesagt, ich dürfe auf keinen Fall Pilze aus der finnischen Natur essen, da diese immer noch hochgradig vom Tschernobyl-Ausfall kontaminiert seien. Hab ich mit dem Kenntnisbestand aus FI in den Wind geschlagen: Bin ich halt ne wandelnde Strontium- und Caesiumbombe, mir ists wurscht.

Kurz darauf kam meine Cousine und machte mich mit ihrem Kenntnisbestand aus CH bekannt: Elektrosmog, Feinstaub, genmanipulierte Pollen, Hormone im Trinkwasser. War fast froh als sie wieder gegangen war. :D
Sid
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Beitrag von Sid »

Das wir noch leben... :roll:

Finnen haben aber die Infos über die Pilze und Fisch verdrängt, untersagten eine weitere Untersuchung... Es ist jetzt nicht so schlimm. Man müsste wahrscheinlich eine LkW-Grösse täglich verspeisen, aber so ganz abwimmeln mit der auswendig gelernter Ansage "finnisches Essen ist rein" ist etwas... hirngewaschen für meinen Geschmack :?
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Circusmaximus
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Beitrag von Circusmaximus »

Tenhola hat geschrieben: Das der Begriff heute zum Teil auch auf importierte Ware angewendet wird ist sicher nur Geschäftemacherei.
Oder anderes gesagt: das gute alte 'kotimainen' Label wird schamlos misbraucht, um den Absatz von Produkten zu steigern, die in keinerlei Zusammenhang zum Erhalt finnischer Arbeitsplätze steht.
Beispiel: Bekannte Firma X produziert Jacken, die in grösseren Supermarktketten mit dem finn. Schlüssel angeboten werden. Das die Produkte zu 90% aus China kommen ist in dem Sinne Betrug am Konsumenten. :(
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AndiK
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Re: Terveisiä Itävallasta

Beitrag von AndiK »

Jakob hat geschrieben:Das hängt nun sicher auch zu einem nicht unbedeutenden Teil von der Art des Arbeitsplatzes ab, aber zumindest hier, wo ich zur Zeit Freiwilliger bin, sind eigentlich alle sehr offen (für finn. Verhältnisse vielleicht geradezu tratschig). Ich kann das nun natürlich auch nicht so gut beurteilen, weil ich selbst erst 18 bin, und meine Erfahrungen im "Arbeitsleben" noch sehr gering sind. Aber z.B. mit dem Zivi hier, der ein Jahr älter ist als ich, red ich sowieso ohne Einschränkungen über jeden und alles, und auch sonst wird gern hinter vorgehaltener Hand vor allem über den kleinlichen Direktor gesprochen - und wenn nicht, dann gibt es etwas anderes, worüber man sich aufregen kann. Und die Finanzzuständige ist sowieso eine Tratschtante hoch drei, und mir ist es schon ein paar mal passiert, dass ich bestimmt eine Viertelstunde bei ihr im Büro war, obwohl ich mir nur mein Taschengeld abholen wollte. Ich weiss inzwischen, wie lange sie wo schon wohnt und wo sie herkommt, welche Krankheiten ihre Kinder schon alles hatten, was für Probleme sie mit dem Auto hat, welche politische Einstellung sie vertritt etc.
Es klingt ziemlich unglaublich, wenn ich das so lese... das hört sich für mich mehr nach D an als nach FIN... aber ich staune immer wieder über die Menschen hier :wink:. Ich wurde jedes Mal doof angeschaut, als ich Kollegen gefragt habe, ob sie verheiratet sind oder Kinder haben. Naja, so unterschiedlich können sie sein :) ... Aber das macht's ja auch spannend.
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AndiK
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Beitrag von AndiK »

Jörg hat geschrieben:Einige Sachen sind aber wohl wirklich eher von den Personen abhängig und nicht typisch finnisch. Ich habe bisher noch keine rülpsenden Menschen um mich herum gehabt. Auch den Kundenservice bekomme ich nicht so extrem zu spüren, ich werde immer gefragt, ob man mir helfen könne. Es gibt im Rahmen Kundenservice auch genug positive Seiten, die Mehrsprachigkeit der Verkäufer, die Möglichkeit alles mit Plastikgeld bezahlen zu können usw. Ich denke, dass es auch in Finnland grosse Unterschiede innerhalb des Landes gibt.
Jörg, du musst auch bedenken: Du wohnst in Pieksämäki :D
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Jörg
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Beitrag von Jörg »

AndiK hat geschrieben:
Jörg, du musst auch bedenken: Du wohnst in Pieksämäki :D
Drum Sprach ich ja davon, dass es Unterschiede innerhalb des Landes gibt. Was sind denn nun die typisch finnischen Eigenschaften? Die der Menschen in den größeren Städten oder vielleicht doch die der "Landeier" :wink: ? Es wird wahrscheinlich eh nur wenige in diesem Forum geben, die sich ein Bild über gesamt Finnland machen können. Mit dem morgigen Tage wohne ich genau 3 Jahre in Finnland, in Pieksämäki. Dadurch kann ich ein bisschen verstehen, was typisch für die Einwohner von Pieksämäki ist. Vielleicht kann ich einige dieser Eigenschaften auch als typisch für die Region Savo bezeichnen. Aber typisch finnisch? Dafür fehlt mir noch ein wenig die Erfahrung.
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Pikkupossu
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Beitrag von Pikkupossu »

Dass die Finnen so positiv gegenüber "einheimischen" Waren eingestellt sind und so negativ gegenüber ausländischen, mag uns Ausländer ein wenig befremden - aber für die Wirtschaft ist es super und wichtig. Den Aspekt sollte man auch nicht aus den Augen verlieren bei der Diskussion.
Sid
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Beitrag von Sid »

Ja, z.B. dass Beeren, die von Billigkräften aus Asien unter nicht so vorbildlichen Bedienungen gesammelt wurden zum Wucherpreis angeboten werden. Arbeitskraft ist teuer. Da schlagen gar die Finnen die Hände überm Kopf 36 Euro/kg kostete Lakka (im Jämsä), weil es "ein schlechtes Lakkajahr" war. Da rechnet man dann wieder in FIM, ist mir aufgefallen: nieeee war der Preis 210 FIM, sagen sie... Ich kann mich jetzt nicht so erinnern. Wetten, dass nächstes Jahr kostet Lakka 39 Euro, auch wenn es vielleicht ein gutes Jahr wird? :?

Das hatten wir doch schon durch. Natürlich soll man die Wirtschaft unterstützen, ausser:
- wenn es nicht stimmt, und als "Aushängeschild" missbraucht wird
- wenn man enorme Energie verbraucht um 6 Euro Wassergurken in Zipfelmützen zu züchten 8)
find ich persönlich.

Export und Import ist auch Teil der Wirtschaft, nehme ich mal an. Angeblich hat Finnland sehr gute Chancen mit der natürlichen Qualität vieler Lebensmittel im Export einzusteigen, aber lt. Berichten die Preislage (also Arbeitskosten) und Entfernungen schmettern sie leider aus dem Rennen (vgl. polnische Landwirtschaft).

Wisst ihr übrigens, dass Italien finnische Pizza importiert???
Ja! Es ist eine besondere Pizza (glutenfrei usw) und wird nur auf Bestellung in Apotheken verkauft. Ist jetzt kein Hoax :D Und gut fürs Image.
Sid
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Beitrag von Sid »

Zu den Zutaten gab es mal die Karte:
http://www.hs.fi/kuvat/iso_webkuva/1135229817392.jpeg
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Jörg
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Beitrag von Jörg »

Sid hat geschrieben:
Wisst ihr übrigens, dass Italien finnische Pizza importiert???
Ja! Es ist eine besondere Pizza (glutenfrei usw) und wird nur auf Bestellung in Apotheken verkauft. Ist jetzt kein Hoax :D Und gut fürs Image.
Und wo kommt sie her? Natürlich aus Pieksämäki (genauer Naarajärvi) :wink:
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