Betrifft eigentlich eher Deutschland

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Anita
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Beitrag von Anita »

Sid hat geschrieben:Auf jeden Fall find ich (mal wieder) ungerecht zu sagen, in D gäbe es gaaar nichts :evil: .
Ich habe eher an die Gastarbeiter gedacht, die Anfang der 60er nach D kamen. Da gab es keine Programme, da man ja dachte, dass die wieder zurueckgehen. Der grosse Teil ist aber geblieben und es hat sich im Laufe der Jahre eine Parallelgesellschaft entwickelt. Die erste Generation hat nie richtig deutsch gelernt und heute ist es auch nicht mehr notwendig. Man kommt auch ohne deutsch z.B. in Kreuzberg bestens zurecht. Ich selbst bin im Ruhrgebiet aufgewachsen und war also auch mittendrin.

Es wird mittlerweile natuerlich versucht zu integrieren, aber es hängt von den Zuwanderern selbst und deren Bildungsstand ab, diese zu nutzen. Ein Problem in Deutschland ist natuerlich auch die Gettorisierung der Zuwanderergruppen. Da wird vielleicht nicht jedem die Notwendigkeit einer solchen Massnahme bewusst.
Sid
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Beitrag von Sid »

Jep, das sind typische Ghettos bzw. Gesellschaften in Gesellschaften (mehr oder minder negativ, da einiges auch von der Mentalität hervorgehen kann, wie ich es in der italienischen Mission kennengelernt habe). Sie trafen sich für gemeinsame (katholische) Aktivitäten, sprachen Italienisch, die jüngere Generation sprach jedoch so gut Deutsch wie Einheimische. Die älteren vielleicht auch nach 30 Jahren noch gebrochen :(

Das Problem von Ghettoisierung erschien in einer Kolumne in Hesari, da es zunehmend einen Trend gibt, dass man ungern Kontula, Itäkeskus & co. als Wohngegend wählt. Diese bleibt dann für Somalis oder Asiaten. Man möchte verhindern, dass es sich ganze Gegenden bilden. Es ist jedoch schwer Leute zu überzeugen, dahin hinzuziehen.

Durchaus kann ich mir vorstellen, dass solch entwickelte Massnahmen in der Zeit des Zuzugs von Gastarbeiter noch nicht gab.
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Anita
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Beitrag von Anita »

Sid hat geschrieben:Jep, das sind typische Ghettos bzw. Gesellschaften in Gesellschaften (mehr oder minder negativ, da einiges auch von der Mentalität hervorgehen kann, wie ich es in der italienischen Mission kennengelernt habe).
Negativ in dem Sinne, dass die Integration (Sprache, Arbeit) länger dauert da der Kontakt zu den Einheimischen kaum vorhanden ist.
Andererseits suche ich ja hier als Ausländer auch den Kontakt zu meinen Landsleuten, sei es ueber ein Forum, Forumtreffen etc.. Ich hätte auch nichts gegen viele deutschsprachige Nachbarn. Ich wuerde mich sicher auch noch wohler fuehlen, wenn ich öfters in meiner Muttersprache reden könnte und nicht immer nur auf finnisch oder englisch.
Es ist eigentlich normal, dass ein im Ausland lebender Mensch den Konakt zu eigenen Landsleuten sucht. Ist einfach nur menschlich und und es erleichtert einfach das Leben in der Fremde.
Nur ist leider in D die die Arbeitslosigkeit unter den juengeren Zuwanderern gross und wg. der unzureichenden Deutschkenntnisse und dem geringen Bildungsniveau hat diese Gruppe kaum eine Zukunftsperspektive. Da muss dringend etwas gemacht werden und es gibt ja auch schon Programme, aber es muessten viel mehr sein.

Eine leichte Ghettorisierung haben wir natuerlich auch in Finnland, aber hier werden sich sicherlich keine Parallelgesellschaften bilden wie in D, da die Zuwanderung in D ja einen ganz anderen Ursprung hat (Gastarbeiter) wie hier.
Es gibt hier ja auch in jeder grösseren Stadt Gegenden, wo sozialschwächere Familien Ausländer leben. Das sind nicht unbedingt die beliebtesten Wohngegenden, aber ich habe eher den Eindruck, dass es in den Gegenden mehr Alkoholkranke und arbeitslose Einheimische gibt, die die Leute abschrecken. Ich glaube nicht, dass es unbedingt die paar Ausländer sind.
Sid
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Beitrag von Sid »

Hier ein interessanter Artikel dazu:
http://www.stern.de/politik/historie/:5 ... 51831.html

Ich denke, dass in den 50er Jahren das Bewusstsein von multikulturellen Angelegenheiten noch nicht so wirklich existent war, ebenso wenig die Mittel dazu (in der Nachkriegszeit). Dazu die bekannte Floskel von Max Frisch: "Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen." Wir wollen ja hoffen, dass so laut wie es um die "työvoimapula" momentan ist, sich so eine Geschichte nicht wiederholt.

Manche unter uns haben ja Erfahrungen mit Finnland in den 60er Jahren. Es wäre interessant mehr zu erfahren, wie hier die einige wenige Ausländer aufgenommen wurden? Schon alleine wegen des Ausmasses lässt es sich nicht "vergleichen".
Tenhola

Beitrag von Tenhola »

Sid hat geschrieben: Das Problem von Ghettoisierung erschien in einer Kolumne in Hesari, da es zunehmend einen Trend gibt, dass man ungern Kontula, Itäkeskus & co. als Wohngegend wählt. Diese bleibt dann für Somalis oder Asiaten. Man möchte verhindern, dass es sich ganze Gegenden bilden. Es ist jedoch schwer Leute zu überzeugen, dahin hinzuziehen.

Durchaus kann ich mir vorstellen, dass solch entwickelte Massnahmen in der Zeit des Zuzugs von Gastarbeiter noch nicht gab.
Die Ghettoisierung ist vor allem hier in Finnland ein ganz natuerlicher Vorgang. Die verfuegbaren Mietwohnungen sind eher spärlich vorhanden und meistens zu teuer und die Besitzer vermieten in der Regel lieber an Finnen. Man muss aber im Gegensatz zu D ganz klar sehen, dass in den fin. Ghettos nicht Einwanderer sondern hauptsächlich Fluechtlinge wohnen. Vermieter solcher Wohnungen in meistens grösseren Wohnblöcken ist fast ausnahmslos die jeweilige Gemeinde.

Bei den frueheren sogenannten Gastarbeitern in D, war die Situation etwas anders gelagert. Diese kamen immer mit einem Arbeitsvertrag in der Tasche, denn sie wurden in ihrem Heimatland direkt von den Vermittlern angeworben. Man war auch nicht an ihrer Integration, sondern nur an ihrer Arbeitskraft interessiert. Die Annahme, dass die "Gäste" nach einer gewissen Zeit das Land wieder verlassen, hat sich später als falsch herausgestellt, denn viele blieben und haben ihre Familien nachgeholt.
Die Wohnsituationen waren teilweise schon fast menschenunwürdig, wohnten doch die meisten in betriebseigenen Baracken mit spärlicher sanitärer Einrichtung.
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Anita
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Beitrag von Anita »

Tenhola hat geschrieben:Die Wohnsituationen waren teilweise schon fast menschenunwürdig, wohnten doch die meisten in betriebseigenen Baracken mit spärlicher sanitärer Einrichtung.
Wir haben selber in den 70 er Jahren in einer werkseigenen Wohnung gewohnt. Die waren ja im Prinzip auch fuer die einheimische Bevölkerung gedacht und im Ruhrgebiet eigentlich normal. Ich wuerde da nicht von Baracken sprechen. Die Gastarbeiter wohnten schon ganz normal. Man wohnte vielleicht beengter, da man möglichst viel Geld sparen wollte fuer die spätere Rueckkehr ins Heimatland, aber ansonsten hat es sich durchaus um normale Mietswohnungen gehandelt.
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Sandra
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Beitrag von Sandra »

Na, Anita und Sid, dem kann ich aber so nicht zustimmen.

Ich selber kenne eine türkische Familie in D seit ich in die Windeln gemacht habe, die Eltern haben keinerlei Kurse besucht (obwohl man das ja auch an der VHS mit Eigeninitiative schon seit Jahrzehnten(!) lernen kann!!!!) sprechen aber DENNOCH verhandlungssicheres Deutsch.

Und auch die hausten nicht in "Baracken" gewohnt, sondern in einem EIGENEN Haus!

Und was ich am erstaunlichsten finde: diese Gewaltneigung liegt eindeutig an den Generationen.

Die Kids von o.g. Familie sind etwa in meinem Alter. Die haben sich "hochgearbeitet", Deutsch gelernt (die älteste ist in der Türkei geboren) und z.T. studiert und sitzen in hohen Positionen. Die sind aber um die 35 Jahre alt. Ich finds erschreckend, das die Jüngeren offenbar keinerlei Grenzen mehr kennen.
Sid
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Beitrag von Sid »

Sandra hat geschrieben:Ich finds erschreckend, das die Jüngeren offenbar keinerlei Grenzen mehr kennen.
Wie soll man das verstehen? Dürfen sie mit Mitte 30 keine leitende Position haben? :? Ich denke, um sich hochzuarbeiten ist das die allerletzte Eisenbahn, egal ob Türke oder sonst wer, wenn man anscheinend in diesem Fall, Eigeninitiative zeigt. Oder meintest Du Staatengrenzen?

Ich verurteile nicht, wenn man die Angebote, die der vermeintlichen Integration dienen, nicht in Anspruch nimmt. Ich finde, es soll ein Raum für Individualität gelassen werden, sofern man am Rande nicht abrutscht. Das dürfte etwas schwierig in der homogenen finnischen Gesellschaft sein, sich damit durchzusetzen.
Tenhola

Beitrag von Tenhola »

Anita hat geschrieben:Wir haben selber in den 70 er Jahren in einer werkseigenen Wohnung gewohnt. Die waren ja im Prinzip auch fuer die einheimische Bevölkerung gedacht und im Ruhrgebiet eigentlich normal. Ich wuerde da nicht von Baracken sprechen. Die Gastarbeiter wohnten schon ganz normal. Man wohnte vielleicht beengter, da man möglichst viel Geld sparen wollte fuer die spätere Rueckkehr ins Heimatland, aber ansonsten hat es sich durchaus um normale Mietswohnungen gehandelt.
Ich glaube wir sind vermutlich nicht aus der selben Generation. Ich meine nicht die 70er- sondern anfangs der 60 er Jahren. Wenn ich von Baracken schreibe, meine ich auch Baracken und nicht Werkswohnungen. Ich weiss wie Werkswohnungen aussehen, hatte ich doch gute Bekannte in Recklinghausen und sie arbeiteten im Bergbau.
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Micha
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Beitrag von Micha »

Eigentlich hat Finnland die einzigartige Möglichkeit, von den früheren Fehlern der anderen Länder eigene Lehren zu ziehen und der Integrationsproblematik angemessene Aufmerksamkeit zu geben.

Allerdings ist Integration nicht nur Sache der Politik, sondern auch des Mannes auf der Straße, sowohl des Einheimischen als auch des Eingewanderten. Da sehe ich noch viele Berührungsängste auf finnischer Seite.
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Tenhola

Beitrag von Tenhola »

@Micha da kann ich Dir nur beipflichten.

Finnland wird sicher keine Einwanderungswelle wie einige Länder in Mitteleuropa anno 60 / 70 erleben. Natuerlich braucht es auch hier vermehrt so genannte Spezialisten aber das sind nicht unbedingt die Leute, welche ein ganzes Leben in Finnland verbringen wollen.
Es wäre noch vor Jahren sicher nicht vielen Deutschen eingefallen nach Finnland auszuwandern. Wie ich meine, geschah die Veränderung bei vielen aus familiären Gruenden. Man ist mit fin. Partner verheiratet oder liiert. Sicher hat auch die schlechte wirtschaftliche Lage in DE einige zum Auswandern bewogen. Warum gerade Finnland, wäre noch abzuklären.
Wie ich schon anderswo gesagt habe, sind aber generell die Huerden seit dem EU Beitritt Finnlands mind. fuer EU Buerger sehr niedrig. In der Zeit vor der EU war es fast unmöglich in Finnland einen Job zu bekommen. Der Aufwand war echt gross, bis man vom Arbeitsministerium die Bewilligung bekam. Dies mag heute noch mit ein Grund sein, warum Finnen mit den nun doch zahlreichen Ausländern noch echt ihre Muehe haben. Frueher waren die Ausländer Touristen und ich erinnere mich noch gut, wie mich die Zöllner jeweils freundlich aber bestimmt nach dem Grund und vor allem nach der Dauer meines Aufenthaltes fragten. Finnland war eines der letzten Länder in Europa, welche Ein- bzw. Ausreise im Pass noch abstempelten. Finnland wird sich aber mit der Zeit sicher an die Ausländer gewöhnen und es wird sicher nicht so schlimm wie in der Schweiz, wo schon fast jeder vierte Ausländer ist. Die alleinige Zunahme durch Deutsche beträgt jährlich fast 20'000, was jedoch nicht erstaunlich ist, denn es besteht ja auch keine Sprachbarierre.
Swabian
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Beitrag von Swabian »

Micha hat geschrieben:, sondern auch des Mannes auf der Straße, sowohl des Einheimischen als auch des Eingewanderten. Da sehe ich noch viele Berührungsängste auf finnischer Seite.
ein wahres Wort, gelassen ausgesprochen
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Tomppa
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Beitrag von Tomppa »

Hauptschlagzeile auf dem heutigen "Aamulehti" ist, dass die finnische Regierung die Hürden für ausländische Arbeitnehmer noch im Jahr 2008 abbauen will.
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roelli
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Beitrag von roelli »

Micha hat geschrieben:Allerdings ist Integration nicht nur Sache der Politik, sondern auch des Mannes auf der Straße, sowohl des Einheimischen als auch des Eingewanderten. Da sehe ich noch viele Berührungsängste auf finnischer Seite.
Das verstehe ich jetzt nicht ganz? Wieso beschränkst Du das jetzt auf die Männer?
Sid
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Beitrag von Sid »

Recht hat der roelli, ich find besonders grisgrimmige Omas reserviert Ausländern (und Ausländerinnen!) gegenüber :wink: .
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