Patriotismus

Ideenaustausch zum Thema Leben in Finnland.
Sid
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Beitrag von Sid »

Seve hat geschrieben:Hierzu noch eine kleine Job-Anekdote:
Im ersten Interview wurde mir gesagt, dass die Tatsache, dass ich nur wenig finnisch spreche kein Problem ist, weil es ja ein internationales Programm sei.
Das kennen wir :lol:
Seve hat geschrieben:Hierzu noch eine kleine Job-Anekdote:
Nach diesem Telefoninterview habe ich ein persönliches Interview, Englischtest, Intelligenztest, Persönlichkeitstest und ein Assessment Center in Stockholm durchlaufen
Ziemlich typisch, es fehlt nur noch die Untersuchung auf Gallensteine :roll: Es ist schon zum Schreien, wie sehr sie sich "absichern" möchten. Und es dauert und dauert... AC kann schon interessant und nützlich sein, aber 100% Garantie gibt es nicht. Der Mann meiner Freundin hat sich in D (ohne Sprachkenntnisse) beworben. Sie haben Nägel mit Köpfen gemacht, Vertrag zum Durchlesen zugeschickt, und au weia, sogar Zahlen darin genannt. Ich kann nicht dran denken, wieviel Geld und Ressourcen solche langatmigen Rekrutierungsprozesse, iin den nix passiert, in Anspruch nehmen.
Seve hat geschrieben:Danach wurde mir mitgeteilt, dass ich eigentlich gut geeignet wäre, aber ja leider kein Finnisch spreche und ich mich deswegen nicht qualifiziere :shock:
Willkommen in der Realität.
Seve hat geschrieben:Das fällt denen 6 Runden später ein (3 Monate)...
Und um einige tausend Euro leichter. Aber vielleicht war es ja EU-Fördergeld. Macht nix *ironie off*
Seve hat geschrieben:Ich weiss ja, dass meine geringen Finnischkenntnisse ein Handycap sind, aber da hätte ich mir die Zeit auch sparen können, wenn die mal vorher damit rausgerueckt wären und mir nicht erst Hoffnungen gemacht hätten...
Sei froh das sie nach sechs Runden überhaupt den Anstand hatten, Bescheid zu sagen. Ist ja nicht die Regel. Konfrontationsscheu, nennt man das (mein Mann nennt es auch Ignoranz).
Seve hat geschrieben:naja, Ansporn schneller zu lernen ;-)
Wenn das bloss ausreichen würde :?
Seve
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Beitrag von Seve »

Sid hat geschrieben: Sei froh das sie nach sechs Runden überhaupt den Anstand hatten, Bescheid zu sagen. Ist ja nicht die Regel. Konfrontationsscheu, nennt man das (mein Mann nennt es auch Ignoranz).
Daran muss ich mich echt noch gewöhnen... das ist echt unter aller S..., dass die hier nicht mal Bescheid geben. Wenigstens ein Standardbrief sollte doch drin sein... Beworben hab ich mich, um mal zu schauen, wie weit ich komme. Ausserdem hätte ich dann keine 40 Minuten mehr zum Job gehabt, sondern nur noch 10 zu Fuß.

Aber naja, andere Länder, andere Sitten :roll:
Stephanie
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Re: Patriotismus

Beitrag von Stephanie »

Wow - Also was ich hier so lese entsetzt mich ein wenig - Warum sind einige von Euch eigentlich in Finnland?

Ich empfinde die Finnen weder als unhöflich, noch als nicht offen zu "anderen Welten", lasse es Essen oder andere Dinge sein.
Ja ich weiß, man kauft bevorzugt Finnische Produkte - wird jedenfalls gesagt. Aberi ist das wirklich so schwarz - weiß. Ich denke nein, wenn man mal in den Shops schaut, dann wird doch kräftig als gut gemischt gekauft. Oder wie überlebt Lidl und & mit Deutschen und anderen Produkten? oder Stockmann mit Internationalen aus aller Welt.

Obrigkeitsdenken - ja man geht anders mit Obrigkeit um, aber ich empfende es anders als hier teils beschrieben. Hierachien sind nicht wirklich wichtig.
Es gibt insgesamt mehr Gelassenheit, aber das muss ja nicht (immer) falsch sein.

ich pendele ja sozusagen zwischen den Welten, lebe teils in Deutschland, teils in Finnland (nicht tage sondern oft blockweise für Wochen). Dies seit mehr als 14 beruflich bedingt. Ich erlaube mir da ein Urteil, die "Welten" vergleichen zu können und mit dem "aktuellen" Deutschland zu vergleichen.
Desweiteren arbeite ich mit vielen Kulturen, bin oft in Asien.

Alle Länder haben Eigenheiten. Aber macht das die Ganze Sache nicht erst interessant?

Wenn man international unterwegs ist oder in einem anderen Land lebt, muss man aufgeschlossen sein.
Und ich denke es gilt auch der Gute alte Spruch: So wie man in den Wald ruft, so schalt es heraus.

Ich habe insgesamt viele positive Erfahrungen gemacht. Habe viele aufgeschlossene & hilfsbereite Finnen getroffen. Viele sind unsere Freunde geworden - auch ohne dass ich finisch kann.
Wie oft wurde mir geholfen - egal wo - in Englisch, Deutsch oder notfalls mit Händen und Füssen. Egal ob im Bereich Helsinki, wo eh alles internationaler ist, oder mitten in Finnland, in der Pampa, wo sich nicht so schnell ein Tourist hin verirrt.

Vielleicht überdenkt der eine oder andere mal seine eine oder andere Ehrfung ... wie gesagt, wie man in den Wald hineinruft ....

Gruss,
Stephanie
poro
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Re: Patriotismus

Beitrag von poro »

Hallo Stephanie,

ich denke mal, jeder von uns ist in etwas unterschiedlichen Situationen, etwas unterschiedlichen Umfeldern, manche werden hier zum Finnen, mache zur Finnisch-Deutschen Mischung, andere passen sich an und bleiben doch im Herzen Deutsche. Daran finde ich eigentlich nix verkehrt. Ich finde auch nicht, dass hier irgendwie uebermässig gejammert oder so wird. Nun habe ich viel mit Internationalen hier in Finnland zu tun gehabt - bei langem nicht nur Deutschen, sondern allen möglichen Nationalitäten. Der Tenor ist eigentlich (und gerade bei denen, die auch in mehreren Ländern gelebt und gearbeitet haben), dass Finnland kein einfaches Einwanderungsland ist.
Das ist auch ganz verständlich, wenn man sich mal die Geschichte des Landes ansieht. Internationalität ist hier fuer viele ein Schlag- und Modewort. In Realtität ist es jedoch fuer viele Leute hier noch reichlich neu - manchmal auch etwas beängstigend oder bedrohend. Dann kommt noch dazu, dass die finnische Mentalität sich in einigen Dingen reichlich von der zentraleuropäischen unterscheidet. Diese Dinge sind oft aber etwas versteckt ... man merkt sie nicht gleich. Oft fallen sie einem sogar gar nicht als Unterschiede auf - man versteht einfach bestimmte Reaktionen nicht bzw. interpretiert sie falsch (und fuehlt sich dann im schlimmsten Fall abgelehnt, angegriffen oder was auch immer). Distanz ist hier z.B. oft Höflichkeit, fuer Deutsche jedoch oft Ablehnung. Das ist ein klares non-verbales Verständigungsproblem, das man erst einmal verstehen lernen muss.
Warum trotzdem Finnland? Nun, ich denke, auch dafuer hat jeder so seine eigenen Gruende. Jedes Land hat ja auch schliesslich seine positiven und negativen Seiten. Wenn die negativen nicht gerade Ueberhand nehmen, ist doch alles in Butter. Ich finde es aber trotzdem gut, nicht schweigend den Kopf einzuziehen und sich wegen der eigenen Unangepasstheit zu schämen, sondern ueber gewisse Probleme zu reden. Das erleichtert nicht nur, sondern man kann im Gespräch mit "Mitbetroffenen" auch Dinge besser verstehen lernen und Lösungswege finden. Es ist ja auch bei weitem nicht alles negativ. Ich selbst habe z.B. hier auch sehr viele nette und hilfsbereite Menschen getroffen. Es gibt auch viele Dinge, die ich an den Leuten hier echt schätze im Vergleich zu dem, was ich aus D'land kenne. Doch ich habe auch negative Erfahrungen gemacht. Manche dieser negativen Erfahrungen wiederholen sich .. und ich denke, dass es sich dabei zum Teil um Mentalitätsunterschiede handelt (mit denen man umgehen kann, wenn man sie versteht), zum Teil aber auch um Probleme damit, dass ich Ausländerin bin. Positives geniesst man einfach. Das Negative bedeutet mehr Arbeit, weil man lernen muss, damit umzugehen.
ich pendele ja sozusagen zwischen den Welten, lebe teils in Deutschland, teils in Finnland (nicht tage sondern oft blockweise für Wochen). Dies seit mehr als 14 beruflich bedingt.
Ich denke, genau diese Tatsache lässt dich einige Dinge anders sehen. Du bist keine Einwanderin, sondern eine Pendlerin. Damit fallen fuer dich einige Dinge weg (hast sicherlich keine Bekanntschaft mit KELA, Arbeitssuche usw. gemacht). Leute gehen auch anders mit einem um, wenn man quasi nicht dauerhaft irgendwo wohnt. Das ist anders, wenn man sich wirklich niederlässt und quasi einer von ihnen wird. Dabei aber nicht finnisch ist und halt seine ausländischen Eigenheiten mitsich bringt (ohne selbst die meisten ueberhaupt als Eigenheiten zu erkennen).

Sicherlich bewegst du dich auch in einem einigermassen internationalen Umfeld bzw. einer grösseren Firma, wenn du so viel reist. Die Situation wäre bestimmt anders, wenn du z.B. als Bäckerin oder Mechanikerin hier eine Stelle suchen und dich niederlassen wolltest.

LG vom Rentier
Tenhola

Re: Patriotismus

Beitrag von Tenhola »

Stephanie hat geschrieben:Wow - Also was ich hier so lese entsetzt mich ein wenig - Warum sind einige von Euch eigentlich in Finnland?
Ich möchte einleitend sagen, dass Du da ein heikles Thema angesprochen hast im Forum. Wenn man zu positiv ist, wird einem Blindheit, Ignoranz oder ganz einfach "Du wohnst schon zu lange hier und hörst nur fin. Nachrichten" vorgeworfen. Im andern Fall ist man ein ewiger Nörgeler und Miesmacher. Ich meine aber jeder sollte seine persönlichen Meinung mit dem nötigen Respekt vor der Meinumg des andern ausdruecken können.
Ich wohne nun schon viele Jahre in Finnland und kenne das Land schon seit den 60er Jahren. Ich habe hier nie etwas aussergewöhnliches erlebt, weder positiv noch negativ, was mir in einem andern Land nicht auch hätte geschehen können.

Ich glaube jedoch, Deine wochenweisen Aufenthalte hier, geben sicher nur eine kleine Uebersicht vom täglichen Leben hier. Du musst Dich auch nicht mit den allgm. fin. Problemen beschäftigen und man sieht meistens nur immer die Zuckerseite. So erging es auch mir bei meinen Arbeitsbesuchen in Amerika.
Generell möchte ich aber sagen, dass es hier nicht viel anders ist als in andern Ländern, ausser das wir hier halt die Ausländer sind und nicht die andern.
Georg

Re: Patriotismus

Beitrag von Georg »

Tenhola hat geschrieben:Wenn man zu positiv ist, wird einem Blindheit, Ignoranz oder ganz einfach "Du wohnst schon zu lange hier und hörst nur fin. Nachrichten" vorgeworfen. Im andern Fall ist man ein ewiger Nörgeler und Miesmacher. Ich meine aber jeder sollte seine persönlichen Meinung mit dem nötigen Respekt vor der Meinumg des andern ausdruecken können.
Ich wohne nun schon viele Jahre in Finnland und kenne das Land schon seit den 60er Jahren. Ich habe hier nie etwas aussergewöhnliches erlebt, weder positiv noch negativ, was mir in einem andern Land nicht auch hätte geschehen können.
@Tenhola: :thum Gut auf den Punkt gebracht!
Sid
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Re: Patriotismus

Beitrag von Sid »

Find ich absolut passend gesagt von poro und Tenhola. Es kommt so oder so, und je nach der persönlichen Situation stösst man auf bestimmte Eigenschaften mehr oder weniger. Und da find ich, dass es doch bestimmte "Trends", die vielleicht ein klitzekleines bisschen landesspezifisch sind, gibt. Es ist zwar schwierig(er) hier Fuss zu fassen, aber es ist nicht unmöglich. Es hängt viel von den persönlichen Erwartungen und Eigenschaften ab, wie man sich auf die neue Situation einstellt. Ich persönlich denke, dass internationale Erfahrungen immer bereichern, in jeder Hinsicht, daher hab ich mich schon immer in einem solchen Umfeld bewegt (mitunter berufsbedingt). Meine spanische Freundin ist vor 4 Jahren wieder weggezogen aus Finnland, weil die Mentalität absolut nicht ihr Ding war (da ist aber schon ein Unterschied zu merken, klar) :wink: Jetzt lebt ihr finnischer Freund in Spanien und hat es total für sich entdeckt, wird als "einheimischer Zaragoza'ner" (gross, blond, blauäugig :shock: ) in ihrer Umgebung in Barcelona (!) behandelt (sie stammt aus Zaragoza), grüsst und spricht jeden an, ist völlig assimiliert, doch vermisst er Angeln am See und Ruisleipä. Dann kommen wieder Phasen, dass er und gar sie von den lauten, chaotischen Spaniern die Nase voll haben. Man kann nicht behaupten, dass alle Finnen reserviert wären (sonst wäre ich vielleicht auch noch Single ;) ). Genauso wenig, dass jeder Deutsche mit der Axt im Walde steht. Stereotype sind behilflich, um die Richtung und den Hintergrund zu erfassen, aber nicht das einzig wahre. Mir hilft es, sich mit Dingen auseinanderzusetzen. Man kann das meiste eh nicht ändern, also bleibt es sich darauf einzustellen, ignorieren, oder individuelle Haltung bewahren (muss nicht gleich Sturheit und Verbissenheit sein). Und natürlich auch die zahlreichen vorteilhaften Unterschiede zu nutzen. Das ist wohl kein Verbrechen?

Ach so, ich denke, es macht auch was aus, wie "permanent" man im Lande lebt und wie lange und mit welchen Erfahrungen. Nach ein paar Monaten hier in Finnland war alles soo toll und Deutschland einfach nur bäh. Glaubt ihr das? :kidra
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Circusmaximus
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Re: Patriotismus

Beitrag von Circusmaximus »

Ich sehe das ähnlich differenziert wie ihr. Wie man ein Land erlebt hängt meiner Meinung nach von zwei wesentlichen Dingen ab: zunächst von der eigenen Aufgschlossenheit, neue Erfahrungen zuzulassen und sich einzufinden (ich vermeide absichtlich Schlagworte wie "Integration") und dann natürlich von der Intensität des Aufenthaltes und der Bindung zum Land und deren Menschen. Bin ich ein Besucher Finnlands und bestehen hernach meine Erlebnisse mit Land und Leuten eher aus wenigen Momentaufnahmen, sind meine sozialen Bindungen noch in Deutschland, so wird mein Gesamteindruck auch dementsprechend oberflächlich im neutralen Sinne sein. Jemand der hier über einen längeren Zeitraum gelebt hat, bestes Beispiel vielleicht Tenhola, verfügt zweifellos über eine grössere Bandbreite an Erlebnissen und Bindungen, welches wiederum ein ausgegelicheneres Bild entstehen lässt.

Was meine Person angeht, so habe ich die klassischen Phasen des Kulturschocks erlebt, nachdem ich sehr euphorisch etwa 15-20 Mal vor meinem Umzug nach Finnland vor 5 Jahren eher "Besucher" war.
Mein Beitrag hier nur als Vermeidung der Schwarzweiss Betrachtung. :angel7
Stephanie
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Re: Patriotismus

Beitrag von Stephanie »

Auch wenn ich Pendlerin bin, so mus ich mich hier um alles kümmern. Sei es Ämter (Stadt, Steuer, ...) Bank, natürlich habe ich durchaus auch mal ein Knöllchen bekommen und musste somit mit der Polizei argumentieren. Das hat hier in Finnland sogar geklappt.

Insgesamt, ganz normale Alltagssituationen eben.

Das einzigste, was ich tatsächlich nicht erlebt habe, ist Arbeitssuche auf dem freien Markt. Hier kann ich durchaus nachvollziehen, dass es da erhebliche Unterschiede gibt. Ich denke aber, dass diese ähnlich wie in anderen Ländern damit zusammen hängen, wie international ein Unternehmen ist oder eben nicht.

Wie auch immer, ich denke absolut wichtig ist, das man Tolerant ist. Die Unterschiede wahrnehmen und diese zu versuchen zu verstehen, zumidestens to respektieren.
Meine finnischen Kollegen ecken mit mir ja durchaus auch hier und da mal an, da ich natürlich noch eine Portion deutschen Stil habe. Da erfahre ich durchaus auch Toleranz.

Diese gegenseite Toleranz hat mir hal in einigen der Beiträge in der Betrachtung gefehlt.

... und diese ist - in meinen Augen - wichtig, wenn man "auswandern", aber insgesamt im Umgang mit anderen Kulturen, sowie im Umgang mit anderen Menschen insgesamt.

viele Grüße
Stephanie
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Jakob
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Re: Patriotismus

Beitrag von Jakob »

So wirklich viel kann ich zu diesem heiklen Thema aufgrund meines doch noch jungen Alters und der fehlenden Erfahrungen nicht sagen. Nur soviel:

Ich denk mal erstens auf jeden Fall auch, dass poro recht hat, dass es eben ein Unterschied ist, ob man zwischen zwei Ländern pendelt, und praktisch in zwei Welten lebt, sodass man von der "einen" auch mal zu einem gewissen Grade abschalten kann, oder ob man eben wirklich jeden Tag den gleichen Nachbarn sieht, die gleiche Strasse runterläuft, und das ganze Leben eben (grösstenteils) an einem Ort passiert. Ich bin ja nun selbst auch erstmal nur vorübergehend für ein Jahr als Freiwilliger hier (auch wenn ich anschliessend hoffentlich hier studieren werde), und habe hier natürlich weder Familie noch einen festen Arbeitsplatz o.ä. Als ich aber zu Weihnachten nach vier Monaten wieder in Berlin war, war das für mich wie ein "Auftauchen" aus der finn. Welt, und ich fühlte mich am ersten Tag irgendwie "fremd", obwohl ich ja bis auf die letzten vier Monate mein ganzes bisheriges Leben (von Reisen abgesehen) in dieser Stadt verbracht habe. Ich denke, es ist auch eine Frage der eigenen Einstellung, und wo man sich zu Hause fühlt, und nicht nur, wie andere mit einem umgehen. Bzw. beides steht natürlich in Wechselwirkung, man geht wahrscheinlich mit jemanden, den man seit Jahren fast jeden Tag sieht, anders um, als mit jemanden, den man zwar auch seit Jahren gut kennt, der aber mal da ist, und mal nicht da ist.

Und zur Sprache: Bin selbst erst 18, sodass 14 Jahre für mich ein schwer überschaubarer, sehr langer Zeitraum ist, und vor drei Jahren konnte ich noch kein Wort Finnisch, und wusste über Finnland nur soviel, dass es irgendwo im Norden liegt. Inzwischen kann ich die Sprache aber sehr gut, spreche jeden Tag (mit Finnen) nichts anderes, und erlaube mir deshalb die Behauptung, dass ich in bestimmten Sachen inzwischen mehr über die Finnen und ihre Mentalität weiss, als jemand, der meinetwegen schon 20 Jahre hier lebt, aber nicht Finnisch kann, sondern gewisserweisse wie unter einer "Glasglocke" lebt. Damit meine ich jetzt nicht das alltägliche Leben, das funktioniert mit etwas Übung sicher auch auf Englisch ganz hervorragend. Ich hab aber z.B. im letzten Sommer jetzt mal "Täällä Pohjantähden alla" gelesen, was einfach ein Klassiker ist (drei Bände, über 1000 Seiten), und zur erweiterten finn. Allgemeinbildung gehört. Das Buch ist auch in keine andere Sprache übersetzt, mann kann es nur auf Finnisch lesen und verstehen (jegliche Übersetzungsversuche würden in einer Vergewaltigung des Buches enden). Da bekommt man Einsichten, die einem, der nicht Finnisch kann, eben verborgen bleiben, und wenn er noch so lange hier gelebt hat. Ich bin mir auch 100%ig sicher, dass die Leute mit mir hier insgesamt grundsätzlich anders umgehen würden, wenn ich nicht Finnisch könnte, und ich längst nicht soviel über bestimmte Personen wüsste. Das sehe ich bei anderen Freiwilligen.

Ich find Finnland bisher auch toll, aber es ist nicht das Paradies auf Erden (was es nicht gibt), sondern über ein paar Sachen darf und muss man sich ja wohl auch mal aufregen dürfen.
-Ende-
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Lumi
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Re: Patriotismus

Beitrag von Lumi »

Super Beitrag, Jakob!

Ich bin da ganz Deiner Meinung, dass einem ohne Sprachkenntnisse sehr viel entgeht - sowohl Positives als auch Negatives!
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AndiK
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Re: Patriotismus

Beitrag von AndiK »

Hmmmmm... hab ich jetzt irgendwas falsch verstanden? Ist dieses Forum nicht als Erfahrungsaustausch gedacht? Und ist es denn nicht so, dass 100 verschiedene Leute 100 verschiedene Meinungen haben?

Ich fand es z.b. sehr wichtig zu wissen, dass andere in Sachen Arbeiten nicht solche negativen Erfahrungen gemacht haben wie ich. Das ist gut zu wissen, so hab ich wenigstens noch Hoffnung :)

(Sorry, nur ein sehr kurzer Beitrag im Vgl. zu anderen :))
Georg

Re: Patriotismus

Beitrag von Georg »

Das ist das, was Tenhola meinte (glaube ich, zumindest). Erfahrungsaustausch natürlich, das Problem ist nur, dass man dann schnell in die eine oder andere Ecke gesteckt wird, wenn man angeblich nicht genug oder angeblich zu viel kritisiert.

Bis zu einem gewissen Grad ist das ja auch sicher menschlich, und es passiert jedem, mal mehr, mal weniger. Schwierig wird's dann, wenn Sachlichkeit unerwünscht ist, und die Subjektität der Maßstab aller Dinge wird.
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AndiK
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Re: Patriotismus

Beitrag von AndiK »

Georg hat geschrieben:Das ist das, was Tenhola meinte.
Oh, tschuldigung, wenn ich mich wiederhole. Is Freitag - Gehirn im Abschaltmodus :)
Georg hat geschrieben:Schwierig wird's dann, wenn Sachlichkeit unerwünscht ist, und die Subjektität der Maßstab aller Dinge wird.
Das war aber schön gesagt! Ob man's versteht?
Georg

Re: Patriotismus

Beitrag von Georg »

AndiK hat geschrieben:
Georg hat geschrieben:Das ist das, was Tenhola meinte.
Oh, tschuldigung, wenn ich mich wiederhole. Is Freitag - Gehirn im Abschaltmodus :)
Na, du hast ja kaum Dich wiederholt, sondern eher Tenhola, wenn dann. :wink:
AndiK hat geschrieben:
Georg hat geschrieben:Schwierig wird's dann, wenn Sachlichkeit unerwünscht ist, und die Subjektität der Maßstab aller Dinge wird.
Das war aber schön gesagt! Ob man's versteht?

Offensichtlich bin dann ja ich auf Freitagsschaltung, wenn ich so unverständlich schreibe.
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