Varis hat geschrieben:zum Thema Außenseiter habe ich ein paar Gedanken.
Außenseiter. Dieses Thema... na gut.
Ich finde auch, es hängt sehr von einem selbst ab, wie man sich verhält, und ob man offen für seine Mitschüler ist. Ich war während meiner Schulzeit auch lange "Außenseiter". Sicher nicht so extrem und permanent, mal mehr, mal weniger, und es hat mich meist auch nicht so sehr gestört, weil man es ja eben selber will, aber dennoch.
Erstens mal habe ich selbst genau genommen einen gewissen Migrantenhintergrund (meine Mutter ist Deutsche, mein Vater Rumäne), allerdings kann ich leider überhaupt kein Rumänisch, und in Berlin gibt es sowieso so viele Migrantenkinder, da fällt das überhaupt nicht auf (außer bei meinem Nachnamen, den ich in D jedesmal buchstabieren muss, in Finnland ist das komischerweise nicht so ein Problem). Die zweite Sache ist allerdings, dass ich sofort nach meinem 6. Geburtstag eingeschult wurde, wo noch Mitte der 90er die meisten Kinder in Berlin erst mit sieben eingeschult wurden, und dann nach anderthalb Jahren eine Klasse übersprungen habe, sodass ich immer knapp zwei Jahre jünger war als der Rest. Und das hat sich eben bis zum Abi letztes Jahr durchgezogen. Am schlimmsten war es eigentlich so in der 9./10. Kl., denn ob man 14 oder 16 ist, ist ein gewaltiger Unterschied (Rauchen, Trinken, Kinofilme, Interessen, Lebenserfahrung, alles). In der Oberstufe fiel es gar nicht mehr so ins Gewicht, weil es da sowieso die verschiedensten Leute gab, und wir inzwischen alle erwachsen genug waren um Unterschiede zu tolerieren (konnte eben nur nicht zu Parties, die ab 18 sind). Hab mich jetzt am Ende in der 13 sogar mit Leuten verstanden, mit denen ich früher nie klar gekommen wäre.
Ich wollte aber eben lange Zeit mit vielen meiner Mitschüler nicht so viel zu tun haben, zum einen weil ich meinen eigenen kleinen Freundeskreis hatte, der mir oft reichte (inzwischen aber völlig auseinandergefallen ist), zum anderen weil mich die anderen eben auf Grund des Altersunterschieds nicht akzeptiert haben (und ich es irgendwann auch gar nicht erst versucht habe), und teilweise vielleicht auch aus Arroganz meinerseits (wenn man "Streber" genannt wird, versucht man sich vielleicht unterbewußt zu schützen, indem man sich einredet, dass man den anderen geistig überlegen ist, was wirklich absoluter Unsinn ist, gerade wenn man jünger ist). Ich war in einer gewissen Phase auch ein Jahr in psychologischer Behandlung (Einzel und Gruppe), aber das hat meiner Meinung nach so gut wie gar nichts gebracht, das war einfach die Pubertät, und dass ich eben mit meinen Eltern nicht so gut klar gekommen bin. Oft sagt man ja auch, dass sg. Hochbegabte leicht zum Außenseiter werden, was in Bezug auf den Altersunterschied als Resultat von Klasse(n) überspringen sicher irgendwie stimmt, aber ansonsten auch Quatsch ist. Es gab an meiner Schule fünf Leute, die ihr Abi mit 1,0 gemacht haben, und von denen würde ich nur eine als Außenseiterin einstufen. Mein 1,2er Abi hat dementsprechend also auch nicht das geringste Aufsehen erregt.
Wenn ich mir die Sache so überlege, hatte allerdings meine Außenseiterrolle einen nicht unerheblichen Einfluss darauf, dass ich mich vor zweieinhalb Jahren entschieden habe Finnisch zu lernen. Denn auch das war neben all seiner sonstigen unheimlichen Interessantheit für mich im Endeffekt ein Mittel, mich von der Masse abzugrenzen und mein eigenes Ding zu drehen (wenn ich das den Finnen erzählen würde...
). Wenn ich in meine Umgebung fest integriert gewesen wäre, hätte ich überhaupt keine Zeit und Ausdauer für so etwas gehabt. Naja, jetzt hab ich mich erstmal nach Finnland abgeseilt, und im Herbst werden die Würfel sowieso wieder neu geworfen.
Aber genug über mich selbst, zum eigentlichen Thema: Außenseiter-Sein kann verschiedene Gründe haben, aber allein ein Migrationshintergrund ist denk ich mal keiner (sofern das Kind denn die Landessprache beherrscht), und schon gar nicht, wenn die Kinder dann etwas älter sind. Zwar sind Berlin und Finnland in dieser Hinsicht in keinster Weise vergleichbar, aber es gibt ja auch hier immer mehr Migrantenkinder. Neulich kam z.B. in Tikkurila ins Zugabteil eine Horde von sechs schwarzhäutigen somalischen (nehm ich an) Mädchen, die miteinander akzentfrei Finnisch sprachen. Da haben dann auch einige Leute ein bischen dumm geguckt, so unter dem Motto: Das blüht uns also in Zukunft. Ich spiele außerdem z.B. in Espoo Tischtennis, und da sind auch ein paar Migrantenkinder (Chinesen, Russen), aber die sind bestimmt keine Außenseiter. Ebenso ein Jugendlicher vietnamesischer Abstammung, den ich kenne. Das heißt natürlich nicht, dass diese Kinder (soviel ich über sie weiß) irgendwie eine schlechte Beziehung zu ihren Eltern haben. Alle können natürlich perfekt Finnisch, das ist zehnmal wichtiger als die Abstammung. Der Freundeskreis hat mit dem Elternhaus irgendwann einfach nichts mehr zu tun, und die Generation von Kindern, die jetzt aufwächst, wird zu Einwanderern schätzungsweise sowieso eine andere Einstellung haben als die davor (von den "suuret ikäluokat" ganz zu schweigen). Zumindest dieser eine russische Junge beim Tischtennis spricht als zweite Muttersprache auch Russisch, aber das braucht er ja keinem sofort erzählen, und dann wird er auch vollständig akzeptiert. Es kommt natürlich schon drauf an, ob ein Kind - sofern es denn Finnisch kann - mit einem Elternteil noch eine andere Sprache spricht (wenn ich Rumänisch könnte, und das mit meinem Vater sprechen würde, hätte ich mich auch definitiv mehr als "Migrantenkind" gefühlt), aber dass das Kind einen Teil der ausländischen Identität verliert, lässt sich sicher nicht vermeiden, wenn man will, dass der Migrationshintergrund keine Intergrationsprobleme verursacht (meine rum. Identität strebt so ziemlich gegen null, was allerdings auch wirklich familiäre Gründe hat...).
Und noch zur Sprache: Ich erzähl inzwischen auch niemandem mehr, dass ich nicht Finne bin (Wozu auch? Was geht den das eigentlich an, oder vielleicht interessiert es ihn auch gar nicht). Und es gibt selbst eine Menge Finnlandschweden, die nicht perfekt Finnisch können. Z.B. heute hat im Fernsehen irgendein Theaterdirektor gesprochen, der keinerlei Akzent oder irgendwas hatte, und dann sagt er auf einmal irgendwie "tämä teki hänestä suurempi mies" (pitää olla: "-- -- suuremman miehen"). Da dacht ich erst: Häh, kann der nicht richtig sprechen? Und dann hab ich nochmal unten auf den Namen geguckt, und da war das irgendein Leif Söderström oder so. Also alles nur halb so wild.