Angst or Entfremdung gerechtfertigt?

Fragen zum Familienleben: Partnerschaft sowie Kinder im deutsch-finnischen Umfeld.
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Varis
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Angst or Entfremdung gerechtfertigt?

Beitrag von Varis »

Hallo,

wir ziehen ja im Frühjahr jetzt mit der Familie nach Finnland und meine Tochter (jetzt 17 Monate) wird wohl zweisprachig (mindestens) aufwachsen. Bisher haben wir (er Halbfinne, ich Deutsche) in Holland gewohnt und holländisch geht mir sehr flüssig von den Lippen, weil den norddeutschen Dialekten doch teils recht ähnlich ist. Man könnte sagen ich spreche fließend. Da habe ich mir also keine Sorgen gemacht.

Bei Finnisch ist es jetzt so, dass der Papa schon einigermaßen gut finnisch spricht (wenn auch sehr umgangssprachlich, kommt aus seiner Jugend) und ich trotz Sprachbegabung (dachte ich... :oops: ) praktisch kaum finnisch spreche oder verstehe, höchstens lesen geht - aber auch das nur langsam und mit einem Wörterbuch daneben.

Wir sprechen zuhause beide ausschließlich deutsch mit ihr und sie spricht noch nicht. Aber natürlich gehe ich davon aus (und fände es für sie auch wünschenswert), dass meine Tochter sehr schnell das Finnische aufschnappt und schnell gut sprechen wird, schneller und besser wohl als ich. Spätestens wenn sie eingeschult wird.

Meine Angst ein bisschen ist es nun, dass meine Tochter und ich uns voneinander entfremden, weil ich ihre Sprache nie perfekt werde sprechen können und sie unter Umständen meine Sprache nicht. Ich habe von zweisprachig aufwachsenden Kindern gehört (bin in einer bilingual-Mailingliste), die die "schwache" Sprache - in unserem Fall deutsch - fast völlig ablehnen, verlernen, vernachlässigen zugunsten der starken Sprache.

Hat jemand von euch so etwas erlebt? Habe ich eine Chance so gut und so schnell finnisch zu lernen, dass ich wenigstens ungefähr so gut wie meine Tochter werde, die in der Umgebung mit der Sprache aufwächst?

Achja, schwedisch ist in unserer Familie auch geläufig, das spreche ich aber nur "touristisch". Wie stark ist schwedisch in Salo vertreten?

Entschuldigt das Wirrwarr...


Liebe Grüße von Varis
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Antje
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Beitrag von Antje »

Also. Ich bin Deutsche, mein Mann Brite und wir leben in FIN. Meine Kinder (4 & 6) sprechen alle 3 Sprachen, Finnisch am liebsten, da Kontaktsprache. Mit mir sprechen sie dt., mit meinem Mann engl. Beides hapert ein bisschen in der Grammatik, aber sie können sich ausdrücken. Sie wirken nicht frustriert, und wenn sie mal ein Wort in der einen Sprache nicht finden, nehmen sie es aus einer anderen. Ich selbst spreche sehr wenig Finnisch, verstehe ein bisschen mehr. Wenn ich meinen Sohn frage, was seine Freunde mich fragen, "übersetzt" er gern. Ich fühle mich nicht im Geringsten entfremdet, schaue nur staunend auf meine finnisch plappernden Kinder :D

Als wir herkamen, war mein Sohn 3, meine Tochter knapp 1. Innerhalb von 3 Monaten kamen sie im Kiga voll mit und sprachen gut. Jetzt sagt man uns, sie klingen wie Finnen.

Ich mache mir dann und wann Sorgen, wie das mit den Sprachen und den verschiedenen Kompetenzen mal wird (schreiben, lesen...) aber um Enfremdung wegen der Sprache sorge ich mich nicht! Das Dt. und Engl. brauchen sie ja auch für Freunde und Familie in D und UK, da kann ich mir ein Verweigern nicht vorstellen.
Ich bin ganz optimistisch, breite mich aber auch seelisch und moralisch auf Mehrarbeit zu Hause vor: lesen, schreiben etc. auf dt./engl.

Bisher beschränkt sich das auf konsequentes Deutschsprechen und -vorlesen bei mir und für meinen Mann auf engl. Ausserdem haben wir Kontakt zu anderen dt.spr. Kindern gesucht (!), gefunden und ermutigen unsere Kinder dazu. Dann noch dt. DVDs etc.

Ab Schulalter gibt es dann noch den Heimsprachenunterricht (muttersprachlicher Muttersprachenunterrricht), siehe hier: http://www.saksalaiset.fi/forum/viewtopic.php?t=75

Hoffe, geholfen zu haben.... trotz Wirrwarr meinerseits... :wink: für weitere Fragen jederzeit zur Verfüging stehend...
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Sid
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Beitrag von Sid »

Kann nur von meinem persönlichen Wirrwarr aus meiner Kindheit berichten. Ich bin in den Gebieten der deutschen Minderheit (Schlesien) aufgewachsen. Meine Eltern mussten in der Nachkriegszeit von Tag zu Tag auf die Polnische Schule wechseln und die deutsche Sprache wurde verboten. Sie haben kein Wort verstanden. Bei denen happert es immer noch, weil es natürlich viel Widerwillen gab (bei meinen Grosseltern noch mehr, haben nur das Notwendigste auf Polnisch gelernt). In den 60ern und 70ern kamen mein Bruder und ich zur Welt. Die erste Sprache war Deutsch, aber in der Schulzeit war es damit vorbei (zu riskant). Mehr oder weniger dominierte Polnisch. Deutsch hab ich nie verlernt, lediglich "auf den neusten Stand" gebracht, als wir dann endlich Ende 80er Jahr nach Deutschland ausgewandert sind. Also bin ich in einer Sprache erzogen worden, die meinen Eltern fremd war. Ich habe passiv viel Deutsch aufgenommen. Dennoch spreche ich mit Akzent (oder Dialekt, wie man will... ups - das Thema hatten wir doch schon ;) ). In Finnland leidet mein Deutsch (wie man sieht ;) ), auch wenn ich es desöfteren benutze (schriftlich auf jeden Fall täglich). Ich denke Entfremdung braucht man nicht zu befürchten. Kinder schnappen die Sprachen auf und können sie durchaus ausseinanderhalten. Heutzutage unterhalte ich mich mit meinen Eltern auf Deutsch, völlig natürlich (es kann sein, dass hier und da ein Wort auf Polnisch dazwischenkommt - aus Faulheit). Deutsch ist die Sprache in der ich denke und träume :D .
Georg

Beitrag von Georg »

Wir haben relativ "einfache" Verhältnisse - meine Frau ist formal einsprachig finnisch, auch wenn sie praktisch auf muttersprachlichem Niveau deutsch spricht. Ich bin so deutschsprachig, wie man nun sein kann, werde also finnisch auch nie perfekt lernen.
Unsere Kinder sind 4 und 6 Jahre alt und werden zweisprachig erzogen. Die Mutter spricht mit ihnen ausschließlich finnisch, ich ausschliesslich deutsch. Sie sind in einer finnischsprachigen Kindertagesstätte. Beide Eltern arbeiten.

Dennoch spüre ich keinerlei Form von Ablehnung oder Entfremdung von meinen Kindern. Sie wissen, dass ich verstehe, wenn sie mit ihrer Mutter finnisch reden. Sie wissen aber auch, dass ich mit ihnen deutsch reden will. Die jüngere hat aus diversen Gründen etwas weniger deutsch gelernt als ihr Bruder im gleichen Alter; um so mehr bemüht sie sich aufzuholen, weil sie weiss, dass ihre Onkel, Großeltern und Kusinen/Vettern in Deutschland sie sonst nicht verstehen. Wir hatten gerade Besuch aus D und sie hat in der Zeit gewaltig gelernt. In einer Phase übersetzten die Kinder für mich manchmal sogar, was meine Frau sagte,weil sie dachten, dass Papa es dann doch nicht verstehen würde. Aber das ging schnell vorbei.

Es wäre falsch, Dir zu sagen, dass Deine Sorgen völlig unbegründet wären, aber es spielen sehr viele individuelle Faktoren mit. Nach meiner Erfahrung ist die persönliche Einstellung sehr wichtig für das Endergebnis. Entsprechend meine Empfehlung: selbst so viel finnisch lernen, wie es geht, aber ansonsten möglichst entspannt auf die Situation zugehen. Wenn man die Möglichkeit hat, für das Kind Kontakte mit anderen Personen herstellen, die deutsch sprechen - Verwandtschaftsbesuche, Fernsehen, Radio via Internet, Hörspiele, was auch immer in der eigenen Situation und dem Alter des Kindes angemessen scheint. So verliert die Sprache den Charakter einer Geheimsprache zwischen dem Elter und dem Kind.

Das sind, wie gesagt, alles auf meiner persönlichen Erfahrung beruhende Ansichten und um Gottes willen keine absoluten Wahrheiten. Hoffentlich helfen sie trotzdem bei der Einschätzung Deiner Situation.
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Ninni
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Beitrag von Ninni »

Natürlich ist die Landessprache die starke Sprache, aber ich denke Entfremdung brauchst du auf keinen Fall befürchten. Ich (28 ) bin selber halbe Deutsche und halbe Finnin, aufgewachsen in D. Mit meiner finnischen Mutter sprach ich auschließlich Finnisch und es war bis zum Kindergartenalter auch die Sprache, die ich besser konnte. Danach waren sie gleichstark. Auseinanderhalten konnte ich die Sprachen ab einem gewissen Alter sehr gut...vorher mixte ich oder sprach mit meinen deutschen Großeltern aus Versehen Finnisch (und wunderte mich, dass sie nichts verstanden :lol: ) Mit einem Alter von 7/8 Jahren wendete sich das Blatt und ich wollte lieber nur noch Deutsch sprechen. Meiner Mutter antwortete ich nur noch auf Deutsch, auch meinen finnischen Verwandten. Durch Schule, Hobby und Freundeskreis hat sich Deutsch zur starken Sprache entwickelt. Im Finnischen verstand ich zwar alles, konnte aber nur Umgangssprache.
Im Alter von 16 sprach ich dann wieder mehr Finnisch...

Meine bessere Hälfte ist auch aus einer binationalen Familie (Schweiz/Finnland). Seine Lebensgeschichte was Zweisprachigkeit angeht, gleicht fast exakt meiner.
Wir leben beide nun in Finnland und z.B. an meinem Partner kann man super sehen, wie schnell sich die Sprache weiterentwickeln kann. Früher sprach er nur Umgangssprache, die man zu Hause gebraucht. Schon nach kurzer Zeit in Finnland sprach er fast schon wie alle anderen. Es fällt einem jetzt erst so richtig auf, wenn man seine in der Schweiz lebende Schwester besucht. Ihr Finnisch ist immer noch mehr "umgangssprachlich". Eine Sprache aufzubauen geht rasent schnell, wenn man die Grundlagen dazu hat.

Wie gesagt..natürlich wird das Deutsch deiner Tochter zur sog. "schwachen Sprache" werden. Allerdings kann man nicht voraussagen, wie das Niveau sein wird. Es hängt von vielen Faktoren ab..und nicht zuletzt irgendwann auch von deiner Tochter selber. Auf jeden Fall fände ich es wichtig in jungen Jahren eine Grundlage aufzubauen (spreche mit ihr Deutsch, Besuche in D, DVDs, Bücher, Sprachspiele (für ältere Kinder finde ich Tabu Junior z.B.total klasse)).
Zuletzt geändert von Ninni am So Jan 07, 2007 6:35 pm, insgesamt 1-mal geändert.
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Varis
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Beitrag von Varis »

Das klingt ja schon etwas positiver als in der Mailingliste, danke für die Erfahrungsberichte. Ich finde es auch nicht schlimm, dass ihr deutsch nicht perfekt wird, schlimmer fände ich es nur, wenn sie es gar nicht mehr mag deutsch zu sprechen und wir dann sozusagen diese Intimität nicht mehr haben.

Wir werden natürlich immer deutsche DVDs und deutschen Besuch, Spiele, Lieder und so weiter haben und ich hoffe auch, dass sie mal deutsche oder deutschsprachige Kinder trifft - immerhin kann ihr das ja auch in der Schule weiterhelfen, sofern dort deutsch unterrichtet wird.

Ich glaube ich stelle mich momentan nur etwas an, weil ich es so gewohnt bin mit jeder Sprache super easy locker und flockig klarzukommen und auch fliegend wechseln kann und Finnisch war bisher (Trockenübungen an der Uni) mein Waterloo, da habe ich echt keinen Stich gesehen... Ist wohl eine Mischung aus Angst vor dem Unbekannten, geknicktem Ego und ein paar Sachen die ich gelesen habe, Kinder die nicht mehr mit der Mutter sprechen wollten o.ä. - ich hoffe unser Verhältnis wird immer liebevoll genug sein, um das nicht zuzulassen.

Ich bin ja schon im Vorfeld fast ein bisschen stolz auf sie, dass sie mit zwei so gegensätzlichen Sprachen aufwachsen wird. Aber ich bin auch kein Fan der "Fördermanie" und werde nicht versuchen sie in irgendeine Richtung zu drängen. Ich bin sehr gespannt darauf, wie sie sich entwickelt.


Liebe Grüße von Varis
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Neumi
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Beitrag von Neumi »

Schwedisch kannst Du in Salo vergessen, spricht dort praktisch niemand.

Mach Dir keine Ilusionen, Deine Kinder werden Dich mit dem Finnischen in kürzester Zeit überholen. Meine haben dies zwar noch nicht geschafft, da sie ausschliesslich Schwedisch und Deutsch sprechen, aber jede Wette, sie werden es noch tun, sobald sie Finnisch in der Schule lernen.
Meine Kinder finden es toll, dass sie neben der starken Sprache (Schwedisch) noch eine andere Sprache haben. Sie sagten mir mal, dass dies ihre Geheimsprache im Kindergarten ist. :lol:

P.S. Holländisch habe ich innerhalb eines Jahres fast perfekt gelernt, in Schwedisch kann ich mich ziemlich gut unterhalten, aber auf Finnisch versteh ich nicht mal die einfachsten Kommentare / Fragen. Es ist echt zum Verzweifeln. Nächste Woche beginne ich einen neuen Anlauf mit einem Finnischkurs.
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Norbert
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Registriert: Di Okt 17, 2006 1:29 pm

Zweisprachigkeit

Beitrag von Norbert »

Du brauchst eigentlich keine grosse Angst zu haben vor einer Entfremdung.
Die Erfahrung ist grundsätzlich positiv:
wir haben 2 Kinder die 2sprachig aufwachsen, mit finnisch als starke Sprache.
Phasenweise wollen unsere Kinder nicht soo gerne Deutsch sprechen, aber das gibt sich relativ schnell eigentlich wieder und ist nicht von langer Dauer.
Soziale deutschsprechende Kontakte ausserhalb der Familie sind natürlich wichtig (Telefonate, Besuch, Fernsehen,...), da den Kindern eine Grundmotivation zum Erlenern der 2ten Sprache erhalten bleibt und die Kinder auch eine breites Sprachspektrum erfahren können, denn dann macht das Sprachlernen den Kindern wiederum auch Spass, wenn sie ihre Fähigkeiten vorzeigen können und Erfolgserlebnisse bekommen.

Insgesamt sind hier in Finnland Sprachkenntnisse sehr hoch angesehen, sodass die Kinder im Kindergarten, Schule etc. eher Vorteile haben werden.

Norbert
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